Inhalt:

Bella Swan ist alleinerziehende Mutter eines fünfjährigen Sohnes. Mit zwei Stellen hält sie sich grad so über Wasser. Tagsüber arbeitet sie in einem Schnellrestaurant und am Wochenende in einem angesagten Club. Dort lernt sie Edward Cullen kennen. Der ist reich, gelangweilt und eiskalt. Er macht Bella ein unverschämtes Angebot. Gegen Bezahlung soll sie seine Geliebte werden. Empört lehnt sie dies ab........ Pairing Bella/Edward

© by Vivian (Die Charaktere gehören Stephenie Meyer)

Freitag, 26. November 2010

Kapitel 1 - Das Leben ist hart

Der Wecker klingelte wie jeden Morgen um sechs Uhr. Müde streckte ich die Hand aus und brachte das laute Ding mit einem gezielten Knall zum Schweigen. Sofort hörte dieser ohrenbetäubende Krach auf und ich ließ mich erleichtert wieder in die Kissen zurücksinken. Die Augen noch immer fest geschlossen, schwor ich mir wie jeden Morgen, dass dieses blöde Teil noch heute im  Mülleimer landen würde. Natürlich würde das nicht passieren, aber allein die Vorstellung war herrlich. Ich hatte wie meistens absolut keine Lust aufzustehen, da ich von Natur aus ein ausgesprochener Langschläfer war. Wie immer, wollte ich mich einfach wieder zur Seite drehen und weiterträumen. Doch das war ein Luxus, den ich mir nicht leisten konnte. Also blieb mir nichts anderes übrig, als meinen Hintern aus dem Bett zu schieben, um mich für einen weiteren harten Arbeitstag fertigzumachen. Auf meinem Bankkonto würde spätestens am Ende der Woche gähnende Leere herrschen, wenn ich nicht die Trinkgelder vom Diner kassierte. Diese Beträge, die in meinen privaten Geldbeutel flossen, waren zwar immer schwankend, doch ich plante diese „Almosen“, wie Rose sie stets  liebevoll nannte, immer fest in meinen Haushaltsplan mit ein. Anders kam ich finanziell sonst nicht über die Runden.

Ich gähnte kräftig und starrte dann blinzelnd durch meine Wimpern hindurch zum Fenster. Draußen war es noch dunkel und es regnete. Die Tropfen klopften gleichmäßig auf die Fensterscheiben und ich suchte im Geiste schon nach den passenden Klamotten für Danny. Seine Regenjacke war ihm eigentlich schon fast zu klein, aber eine Weile würde es noch gehen. Seine Jeans hing noch am Wäscheständer im Bad, musste aber schon trocken sein. Dicker Pullover und seine festen Schuhe…überlegte ich weiter und merkte zeitgleich, wie der Regen massiv  an Kraft zunahm.  Das leise Schlagen steigerte sich zu einem drängenden Pochen und ich schnaubte genervt. Das Wetter in Seattle war so ätzend! Warum hatte es Danny und mich nur in eine Gegend verschlagen, in der die Niederschlagsrate so hoch war? Kopfschüttelnd setzte ich mich auf und streckte gähnend die Arme hoch über meinen Kopf. Ich zuckte kurz zusammen, als ich es leicht knacksen hörte. Du wirst alt, Bella, gestand ich mir ein und versuchte mit kreisenden Schulterbewegungen meine angespannte Muskulatur zu entspannen. Eine neue Matratze hätte sicher nicht geschadet, aber wenn nicht ein Wunder geschah und eine vom Himmel direkt in mein Bett fiel, dann musste es diese hier noch eine Weile machen.

Widerwillig kroch ich zur Bettkante, warf aber noch mal einen letzten sehnsüchtigen Blick zurück. Bis zur nächsten Möglichkeit mal eine Stunde länger als üblich zu schlafen, würde es noch eine ganze Weile dauern. Diese Woche musste ich wirklich jeden Tag früh aus den Federn, weil eine der Kellnerinnen an Grippe erkrankt war. Das hieß im Klartext: mein freier Samstag fiel ins Wasser. Glücklicherweise hatte Lou mich für die Frühschicht eingeteilt, so würde ich wenigstens am Nachmittag noch ein bisschen Zeit für Danny haben, ehe ich am Abend in den Nachtclub weiter musste. Dieser Nebenjob war zwar verdammt anstrengend, dafür aber recht lukrativ. Zumindest  für meine bescheidenen finanziellen Ansprüche. Allein beim Gedanken daran, wie müde ich den ganzen Sonntag über sein würde, wenn ich erst in den frühen Morgenstunden aus dem Club kam, wurde mir schwindelig. Allerdings war der Sonntag wirklich der einzige Tag in der Woche, an dem ich nicht arbeiten musste und so ungestört Zeit mit Danny verbringen konnte. Lieber nahm ich es in Kauf,  vor lauter Schwäche umzufallen, als auf eine einzige Minute mit meinem Sohn zu verzichten. Doch ich war auch nur ein Mensch und keine Maschine, und so wünschte ich mir ab und zu ein bisschen Zeit für mich. Es gab wenige Gelegenheiten, bei denen ich mich fallen lassen konnte und einfach Spaß hatte. Ich war Mutter, gute Freundin, Kellnerin und Mädchen für alles, aber keine Frau mehr. Mein Liebesleben blieb seit Dannys Geburt komplett auf der Strecke, was mir allerdings ganz recht war. Ich hatte Angst davor mich neu zu verlieben, weil ich nicht wieder so verletzt werden wollte wie damals.  Dannys Vater hatte ganze Arbeit geleistet und mein Vertrauen in die Männerwelt war erschöpft. Doch das hinderte mich nicht daran, von der Liebe zu träumen und von einem Mann, der mich auf Händen trug.

Wenn es sich ergab, lag ich gerne im Bett und döste vor mich hin. Dann träumte ich von einem leichteren Leben, von einem Menschen, der es mit mir teilte. Ich war ohne Partner und hatte mir das selbst so ausgesucht, weil ich zu feige war, um etwas zu riskieren. Trotzdem vermisste ich ab und an eine starke Schulter, an die ich mich anlehnen konnte. In manchen Nächten weinte ich mich in den Schlaf, weil ich Angst bekam. Angst davor, allein alt werden zu müssen, so wie meine Freundin Bibi. Sobald der Tag mit seinen Ablenkungen und Sorgen vorbei war und die Dunkelheit hereinbrach, sehnte mich nach jemandem, der mich auffing und mir Mut zusprach, wenn der Tag Scheiße gelaufen war. Leider waren die meisten Kerle eine absolute Katastrophe und liefen meilenweit davon, sobald sie die Worte „alleinerziehende Mutter“ bloß hörten. Allein hätten sie mich schon genommen, aber ein Kind kam nicht in Frage. So blieb es dabei, dass ich als Single durchs Leben ging und mich voll und ganz meinem Kind widmete – wenn ich mal nicht arbeiten musste.

Endlich raffte ich mich auf und schwang umständlich die Beine aus dem Bett. Mit tapsigen Schritten schlurfte ich in mein kleines Bad und schaffte es sogar, trotz meines immer noch recht verschlafenen Zustandes, nicht gegen die Tür zu rennen. Sie knarrte leise, als ich sie öffnete und ich betrat den winzigen Raum. Der Geruch von getrockneter Wäsche lag schwer in der Luft und ich kippte sofort das Fenster.  Danach schob ich den Wäscheständer zur Seite, beugte mich leicht übers Waschbecken und putzte mir  in aller Seelenruhe die Zähne. Während ich mit der Bürste ordentlich jeden Winkel meines Mundes schrubbte, sah ich mich ein wenig um. Manchmal fand ich die Enge in der Wohnung erdrückend, aber bei den horrenden Mietpreisen in Seattle, standen die Chancen gleich Null, dass Danny und ich uns jemals eine andere Wohnung würden leisten können. Selbst diese hier war kaum zu bezahlen. Am Monatsende wurde das Geld grundsätzlich knapp und ich hatte Mühe uns ordentlich durchzubringen. Danny war noch im Wachstum und ich achtete sehr auf eine möglichst gesunde Ernährung. Doch die war nun mal leider Gottes sehr teuer. Für mich hätten es auch Spaghetti mit Ketchup getan, aber für ihn wollte ich nur das Beste. Manchmal hatte ich Glück und ich erwischte noch die heruntergesetzten Waren vom Vortag. Sie waren immer noch gut genießbar und kosteten im Allgemeinen nur die Hälfte. Mit den Jahren war ich zu einer regelrechten Expertin geworden, wenn es darum ging, qualitativ hochwertige Waren zu erschwinglichen Preisen zu ergattern.

Es war immer wieder ein Kampf, doch für Danny nahm ich ihn gerne in Kauf. Was war schon ein regelmäßig überzogenes Bankkonto, gegen das zufriedene Lächeln meines Sohnes? Ich spuckte die Zahnpasta aus, spülte meinen  Mund aus und stieg dann unter die Dusche. Während das Wasser über meinen Körper lief, dachte ich darüber nach, ob ich mir nächsten Monat ein paar Tage Urlaub gönnen sollte. Ich verbrachte viel zu wenig Zeit mit Danny und sein trauriges Gesicht, als ich den geplanten Samstag mit ihm absagen musste, hatte mir schwer ins Herz geschnitten. Wir brauchten einfach ein bisschen Zeit für uns. Seine Kindheit würde niemals wiederkommen und ich wollte unbedingt so viel wie möglich davon mitbekommen.  Ja….Urlaub hörte sich wirklich gut an. Zwar würden mir dann die Trinkgelder fehlen, aber da sogar ich hin und wieder Glück hatte, stand eine kleine Steuerrückerstattung vom Finanzamt an. Von der könnte ich mir ein paar Dollar abzweigen, die nicht großartig ins Gewicht fallen würden. Der Rest der Summe würde wohl für die laufenden Versicherungen draufgehen. Ich beschloss mit Lou reden, um mir unplanmäßig eine Woche frei zu nehmen. So oft, wie ich im Diner als Notbesetzung einsprang, konnte er mir diese Bitte kaum abschlagen.

Das Diner…es war der erste Arbeitsplatz, an dem ich mich so richtig wohl fühlte.  Das Schnellrestaurant befand sich mitten in der Innenstadt und war für mich zu einer zweiten Heimat geworden. Dort war ich Köchin, Bedienung und Mädchen für alles. Mein Boss war ein grundanständiger, schon etwas in die Jahre gekommener Kerl, der wie vereinbart meinen Lohn zahlte und außer Pünktlichkeit und Fleiß nichts von mir erwartete. Das war bei anderen Jobs nicht immer so gewesen. Meine früheren Arbeitgeber hatten allesamt versucht, mir nach einiger Zeit an die Wäsche zu gehen. Ich hatte nie kapiert warum, denn ich hielt mich nicht gerade für eine wandelnde Sexbombe. Doch offensichtlich war ich attraktiv genug, um in meinen Vorgesetzten den Wunsch zu wecken, mit mir ins Bett zu steigen.  Diese widerlichen Typen hatten wirklich nichts Besseres zu tun gehabt, als ihre Drecksfinger überall auf meinen Körper zu legen. Meine Arbeitsverhältnisse endeten daher immer sehr zuverlässig nach einer saftigen Ohrfeige, die ich diesen Mistkerlen nach ihren Annäherungsversuchen verpasst hatte. Es kam nicht in Frage, mich für den Erhalt meines Arbeitsplatzes zu prostituieren, auch wenn das jedes Mal meine unmittelbare Kündigung zur Folge gehabt hatte. Die Jobbörse in der Tageszeitung mutierte schnell zu einer meiner Hauptlektüren und so war mein Blick eines Tages auf eine Anzeige gefallen, in der eine patente Servicekraft gesucht wurde. Den Job zu bekommen war kein Problem und heute war ich laut Lou, nicht mehr aus dem Diner wegzudenken.  Ich war dort glücklich und fühlte mich gebraucht. Das tröstete mich über den Umstand hinweg, dass er nicht sonderlich gut zahlte. Dazu waren die Kosten, die das Diner verursachte, einfach zu hoch und ich wunderte mich ohnehin, wie sich das Restaurant noch halten konnte. Das Diner lebte im Grunde von seiner Stammkundschaft und ich kannte die meisten beim Namen. Personal und Gäste waren ein bisschen wie eine große Familie, und ich selbst hatte in meiner Kollegin Rose eine  unglaublich gute Freundin gefunden. Deswegen suchte ich trotz der mäßigen Bezahlung nicht nach einer Alternative. Bei Lou wusste ich eben, woran ich war. Außerdem konnte ich in Notfällen sogar Danny stundenweise mitnehmen, was unter Umständen wirklich Goldwert sein konnte. Bis jetzt war ich mit dem Diner gut gefahren und ich hoffte, dass sich auch die momentan sinkenden Umsätze stabilisieren würden.

Nach dem Duschen huschte ich zurück ins Schlafzimmer, riss meinen Schrank auf und holte mir frische Unterwäsche, Jeans und einen Pullover heraus.  Meine Gedanken wanderten währenddessen weiter zu Jasper Whitlock, meinem anderen Boss. Er und Lou waren so unterschiedlich wie Feuer und Wasser, aber sie hatten durchaus ihre Gemeinsamkeiten. Jasper war ein sehr zurückhaltender und kühler Zeitgenosse, aber er ließ seine Pfoten vom weiblichen Personal und sorgte auch dafür, dass es die Gäste seines Clubs taten. Immer wieder wurden einige dabei ausfallend und fingen an nach den Bedienungen zu grapschen, sobald der Alkohol sie ausreichend enthemmt hatte. Die Security hielt sie uns vom Hals, trotzdem musste man sich allerhand anhören und sich von diesen Superreichen auf der Nase herumtanzen lassen. Die Gäste waren allesamt Mitglieder der High Society in Seattle und der Umgang mit ihnen war alles andere als einfach. Vor allem die Männer benahmen sich hin und wieder wie Schweine und glaubten, sie könnten mit einer kleinen Kellnerin  machen, was sie wollten. Doch die Frauen waren auch nicht viel besser. Der einzige Unterschied zu den Kerlen war, dass sie nicht versuchten einen körperlich zu bedrängen. Und doch…  jede Sekunde ließen sie mich spüren, wie unbedeutend ich in ihren Augen doch war. Was war schlimmer? Wie Freiwild behandelt zu werden und ständig dummen Sprüchen und plumper Anmache ausgesetzt zu sein? Oder war es nicht noch übler, die Verachtung  in den Augen der weiblichen Gäste lesen zu können? Der Unterschied war geringfügig, es schmerzte jederzeit, egal auf welche Weise man erniedrigt wurde. Trotzdem schluckte ich alles runter, denn ich war auf dieses zusätzliche Geld angewiesen.

Wäre ich nicht dringend auf das Geld angewiesen, dann hätte ich Jasper schon längst meine Kündigung auf den Schreibtisch geknallt. Er war kein schlechter Arbeitgeber, aber er konnte die Gesellschaft nicht verändern oder beeinflussen. Wenigstens konnte ich ein paar Rückstände mehr begleichen und das war mir den ganzen Ärger wert. Manchmal kam es mir so vor, als würden sich die Forderungen von selbst vermehren und der Stapel an unbezahlten Rechnungen würde mit der Zeit größer. Selbst die Steuerrückerstattung konnte nicht ausreichen, um alles auf einmal zu begleichen. Bald war die Krankenversicherung fällig, das Auto musste dringend repariert werden und Danny brauchte neue Schuhe. Geld regiert die Welt, dachte ich spöttisch. Ich wusste natürlich, dass Unmengen von Dollars auf einem Bankkonto einen nicht glücklich machen konnten, doch manchmal hätte ich mir schon mehr davon auf meinem eigenen gewünscht. Wie auch immer, ich musste mit meinem Budget zu recht kommen und überwiegend meisterte ich diesen Balanceakt recht gut. Gehungert hatten wir bis jetzt noch nicht und das war das Wichtigste. Nur wäre es schön gewesen, wenn ich Danny mehr hätte bieten können.

Danny.

Mein kleiner Sohn war der Sonnenschein in meinem Leben und der Grund, warum ich mich so abrackerte. Für ihn hätte ich noch zehn weitere Jobs angenommen, wenn ich ihm dadurch ein bisschen Luxus bieten konnte. Leider reichte es nie für viel. Mal ein Eis zwischendurch oder ein Kinobesuch waren durchaus drin, doch bei der Kleidung ging es schon los. Wir trugen beide Klamotten aus zweiter Hand, da ich mir die teuren Marken einfach nicht leisten konnte. Für den Moment war es noch okay, doch irgendwann würde er merken, dass seine Mitschüler sich optisch von ihm abhoben. Der Druck sich anzupassen, würde immer weiter anwachsen und damit der Wunsch nach den Dingen, die ich ihm nicht geben konnte. Wenn wenigstens Jake für ihn gezahlt hätte,  wäre vieles leichter gewesen. Das feige Schwein hatte sich  jedoch vor seiner Geburt abgesetzt und kümmerte sich überhaupt nicht um ihn. Ich war ganz auf mich alleine gestellt, nachdem auch mein Vater mich damals im Stich gelassen und aus seinem Leben verbannt hatte. Der Grund dafür war so simpel, wie erschreckend. Ich hatte mich geweigert abzutreiben und  das reichte ihm als Grund, um mich auf die Straße zu setzen. Zum Glück hatte ich etwas Geld von meiner Mutter geerbt. Achtzehn Jahre alt und schwanger, war ich schließlich in Seattle gelandet und hier nicht mehr weggekommen.

Seufzend riss ich mich zusammen und versuchte nicht mehr an die Vergangenheit zu denken. Da gab es nichts, was ich vermissen konnte und so ging leise in Dannys Zimmer, um ihn zu wecken. Für einen Moment blieb ich am Türrahmen stehen und betrachtete  versonnen seine kindlichen Gesichtszüge. Die weichen Wangen, das lockige braune Haar und die blasse Haut. Er sah Jake überhaupt nicht ähnlich, sondern kam ganz nach mir. Mein Herz zog sich vor lauter Liebe zusammen und mir wurde wieder ganz leicht zumute. Er war alles, was ich zum Glücklich sein brauchte. Zum Teufel mit den Männern und mit der Liebe. Ich hatte Danny und das reichte mir. Vorsichtig betrat ich den Raum und beugte mich über ihn. Zart rüttelte ich die schmächtigen Schultern und flüsterte leise in sein Ohr.

"Aufwachen, mein Schatz! Du musst aufstehen! Mommy muss dich zur Schule bringen."

Blinzelnd öffnete er die  Lider und sah mich aus müden Augen an. Er rieb sich gähnend das Gesicht und schmatzte leicht. Das war so süß, dass ich grinsen musste.

"Mommy, ich mag noch nicht aufstehen. Kann ich nicht hierbleiben, ich bin auch ganz brav?"

Lachend schüttelte ich den Kopf.

"Schatz, du weißt das geht nicht. Dazu bist du noch zu klein. Mommy kriegt Ärger, wenn sie dich allein lässt."

"Och, Menno", murrte er. Er drehte sich auf den Rücken und setzte sich dann umständlich auf. Seinen Teddy hatte er wie immer im Arm und er gähnte noch einmal herzhaft. Ich zog die Decke von seinem Körper und sah dabei zu, wie er wie der Blitz vom Bett rutschte und ins Bad flitzte. Wenn Danny erstmal wach war, konnte nichts dieses Energiebündel mehr halten. Ich folgte ihm ins Bad, half ihm beim Waschen und passte auf, dass er sich auch ordentlich die Zähne putzte. Danach gingen wir zum Frühstücken in die Küche, wo wir beide unsere Cornflakes löffelten.

"Mommy, holst du mich von der Vorschule ab?", fragte er mich mit vollem Mund.

"Erst schlucken, dann reden", sagte ich automatisch.

Er nickte nur, weil er gerade wieder den Mund voll hatte.

"Ja, ich werde dich heute abholen“, antwortete ich schließlich und zerwühlte liebevoll sein Haar. „Bibi hat heute keine Zeit und ich komme dann an ihrer Stelle."

Bibi war unsere Nachbarin und meine mentale Stütze. Sie hatte sich meiner angenommen, als es mir richtig dreckig ging und ich nicht mehr wusste, wohin vor lauter Problemen. Sie half mir bis heute mit ihrer Lebenserfahrung und ihren Weisheiten weiter und war mein persönlicher Engel auf Erden. Außerdem passte sie völlig umsonst auf Danny auf, holte ihn von der Schule ab und versorgte ihn liebevoll solange, bis ich von der Arbeit kam. Ohne sie hätte ich wohl schon längst Probleme mit dem Jugendamt bekommen, oder wäre von der Fürsorge abhängig geworden. Nur durch ihre Hilfe konnte ich meinen Jobs nachgehen und sie tat es, weil sie uns beide liebte. Wir waren so etwas wie ihre zweite Familie, da sie ihre eigenen Kinder höchstens ein-oder zweimal im Jahr sah. Danny war völlig verrückt nach seiner Bibi und sah in ihr seine „Oma“.

"Oh, Mommy, gehst du dann mit mir in den Park?", jubelte er und fiel mir um den Hals.

Ich erwiderte die Umarmung und atmete tief den sauberen, süßen Kinderduft ein.

"Ja, mein Schatz. Aber jetzt iss deine Cornflakes zu Ende, sonst kommen wir noch zu spät."

Glücklich gehorchte er und bald schon machten wir uns auf den Weg. Nachdem wir nach einer aufreibenden Busfahrt an der Vorschule ankamen, wartete ich, bis er sicher im Gebäude verschwunden  war, ehe ich mich wieder auf den Weg machte.  Von hier aus ging ich zu Fuß und verzichtete auf den Bus, da ich so schneller war, als mit einem öffentlichen Verkehrsmittel. Ich musste mich wie immer ziemlich beeilen, um noch rechtzeitig im Diner anzukommen. Wenn Lou etwas hasste, dann war es Unpünktlichkeit. In der Hinsicht konnte er echt unangenehm werden. Den Rest der Strecke brachte ich also im üblichen Dauerlauf hinter mich und schlüpfte schließlich in letzter Minute, und mit nassen Füßen, durch den Hintereingang. Atemlos warf ich den Regenschirm in den Köcher, ließ im Laufschritt den Regenmantel von meinen Schultern gleiten und schnappte mir meine Uniform vom Haken. Es handelte sich hierbei um einen wirklich hässlichen cremefarbenen Kittel, an dem es nichts schön zu reden gab, doch ich war ja auf keiner Modenschau. Zumindest war er praktisch und ich musste meine eigene Kleidung nicht verwenden.

Kaum hatte ich meine „Tracht“ an, zog die Stempelkarte durch und wollte mich in die Küche schleichen, als die Bürotür aufging. Lou streckte seinen Kopf heraus, sah mich an und blickte dann demonstrativ auf die Uhr. Sein Gesicht wirkte aber keineswegs verärgert, sondern er zeigte seine übliche gutmütige Miene.

"Hey, ich bin immer noch pünktlich. Ich will nichts hören", sagte ich grinsend.

Er verzog sein Gesicht zu einem Lächeln und drohte mir mit dem Finger.

"Beim nächsten Mal krieg ich dich, junge Dame!", neckte er mich und ich schob lächelnd meine Hände in die Taschen meines Kittels. Frech wippte ich auf meinen flachen Schuhen auf und ab, pustete mir ein störendes Haar aus meinem Gesicht und zuckte gleichmütig die Schultern.

„Wir werden ja sehen“, meinte ich keck und er schüttelte resignierend den Kopf.

Lou war ein Riese von einem Kerl. Er hatte frappierende Ähnlichkeit mit Popeye, dem Seefahrer, denn seine blankpolierte Glatze war so glatt, wie eine Billardkugel. Das einzige Haar an seinem Körper wucherte aus seinem Hemd den Hals hinauf, und ließ ihn sehr bedrohlich aussehen. Wer ihn aber kannte, der wusste, dass er keiner Fliege was zu Leide tun konnte. Ich sah flüchtig auf die Uhr und sah, dass es schon kurz nach acht Uhr war. Höchste Zeit um draußen aufzulaufen und die Gäste rein zulassen.

„Ich geh dann mal rein, Lou“, informierte ich ihn pflichtbewusst und er brummte nur zustimmend, ehe er wieder in seinem Büro verschwand. Ich ging ins Restaurant und sah schon Rose, die  schon dabei war die ersten Tische abzuwischen. Nach einer kurzen Begrüßung half ich ihr dabei und schon kurz darauf,  klopfte der erste Gast an die Tür und wollte sich sein Frühstück bestellen. Die nächsten Stunden wurden sehr hektisch, wie jeden Morgen, und ich sehnte eine Pause herbei. Um halb elf war es dann endlich soweit. Die zweite Schicht fing an und ich gönnte mir zusammen mit Rose einen Donut. Der Kaffee fehlte natürlich auch nicht und ich fühlte mich endlich wieder, wie ein menschliches Wesen.  Ich biss gerade genüsslich in den Donut, als Rose sich nach einem Job im Club erkundigte.

„Sag mal, Bella“, fragte sie mit vollem Mund, „du arbeitest doch in diesem Club. Weißt du, ob die noch jemanden brauchen? Ich könnte ein bisschen Extrakohle vertragen."

Ich verschluckte mich beinahe und brauchte einen Moment, ehe ich antworten konnte.

"Willst du dir das ernsthaft antun? Die Typen, die dort rumlaufen, sind einfach schrecklich. Eingebildet und ohne Manieren. Bei deinem Aussehen wirst du dich vor dummen Sprüchen nicht retten können.  Die graben ja selbst mich an, und ich bin weiß Gott nicht Miss Universum."

Böse sah sie mich an.

"Bella, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du dich nicht so schlecht machen sollst? Du bist bildhübsch. Wie kommst du nur auf die Idee, du seist nicht attraktiv?"

"Vielleicht liegt es ja an der Tatsache, dass ich seit Dannys Geburt kein Date mehr  gehabt habe."

"Bella, ich will dir ja nicht zu nahe treten. Aber ….der einzige Grund, warum du keine Dates hast, bist du selber. Dein ständiger  „Lass ja die Finger von mir" Blick, verjagt selbst die mutigsten Männer. Du könntest Dutzende von Männern haben. Siehst du denn nicht, wie sie dich alle anstarren?"

Wenn sie damit die älteren Herren unter unseren Stammgästen meinte, hatte sie sicher recht. Aber die hätten jede Frau angestarrt, die jünger als sechzig war. Ansonsten konnte ich Rose´ Einschätzung meiner weiblichen Anziehungskraft nicht teilen. Ich war bestenfalls guter Durchschnitt. Nicht hässlich, aber auch nicht überwältigend hübsch. Normal eben. Außerdem….  nach der katastrophalen Beziehung mit Jake, hatte ich mit den Männern sowieso abgeschlossen. Der Kerl, der meinen Panzer durchbrechen konnte, musste schon ein besonderer Mann sein, oder noch geboren werden. Die Richtung, die das Gespräch einschlug,  wurde mir unangenehm und ich wollte schnellstens über etwas anderes reden.

"Lass uns das Thema wechseln. Du weißt doch, dass ich mit Männern nichts mehr am Hut habe“, antwortete ich bestimmt und sie verdrehte wie üblich die Augen. Doch das störte mich nicht sonderlich, ich war es ja gewohnt. „Was den Job angeht, kann ich dich am Samstag Jasper vorstellen, wenn du magst. Ehrlich gesagt, der Club brummt gerade gewaltig und ein paar Hände mehr könnten nicht schaden. Mal sehen, was sich machen lässt. Mehr wie nein sagen kann er nicht und fragen kostet nichts."

Ihr Gesicht hellte sich auf, bei der Aussicht ein paar Dollar mehr zu verdienen. Sie war so wie ich, chronisch pleite.

"Ich danke dir dafür."

Sie umarmte mich fest, als plötzlich Lou in der Tür stand. Sein Gesicht wirkte zerknirscht und seine hellen Augen waren bittend auf mich gerichtet. Ich ahnte Böses.

"Bella, ich hab schlechte Nachrichten. Du musst heute eine Doppelschicht einlegen. Anna ist krank geworden und kann nicht kommen."

Er sah mich vorsichtig an und wartete auf meine Explosion. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wohin mit Danny? Wer sollte ihn abholen? Lou unterbrach diesen Strudel.

"Ich weiß, du wolltest was mit deinem Sohn unternehmen, aber ich brauche dich wirklich dringend hier.  Und bevor du fragst….außer dir ist keine mehr frei oder nicht erreichbar."

Verdammt noch mal! Diese Ungerechtigkeit war so ätzend. Jedes Mal wenn ich mir was mit Danny vornahm, kam etwas dazwischen. Jetzt hieß es kurzfristig eine Betreuung für ihn zu organisieren und ihn wieder mal zu enttäuschen. Das Leben war manchmal schon hart.

Kapitel 2 - Sorgen

Nachdem Lou mir das Versprechen abgenommen hatte, dass ich mich um eine Betreuung für Danny kümmern würde, um die Schicht meiner kranken Kollegin zu übernehmen, griff ich nach meinem Handy. Verzweifelt versuchte ich Lucy zu erreichen, die Mutter von Dannys bestem Freund Luke. Sie hatte mir in der Vergangenheit schon das ein oder andere Mal aus der Patsche geholfen und ich setzte alle Hoffnungen auf sie. Als sich nach dem zehnten Klingeln nur noch die Mailbox meldete,  sank meine Zuversicht und ich gab irgendwann entnervt auf. Was sollte ich jetzt machen? Mit den anderen Müttern hatte ich nicht genug Kontakt, um sie um Dannys Betreuung bitten zu können. Außerdem war mir allein der Gedanke daran zuwider, dass ich ihn in die Obhut einer mir fast fremden Person geben musste. Man konnte leider nicht in die Menschen reinschauen und auf den ersten Blick erkennen, wie verantwortungsbewusst sie wirklich waren. Das Risiko war mir dann doch zu groß, da hätte ich ihn mir eher noch auf den Rücken gebunden.

Leichte Kopfschmerzen kündigten sich bei mir an und ich massierte mir vorsichtig die Schläfen, während ich fieberhaft nach einer Lösung suchte. Jemand musste ihn schließlich aus der Vorschule abholen, ihm was zu essen machen und sich den Rest des Tages um ihn kümmern. Ich verfluchte Anna und ihre Migräneanfälle, obwohl die Ärmste ja nichts dafür konnte. Ausgerechnet am einzigen Tag in der Woche, an dem Bibi keine Zeit hatte, musste sie erneut eine ihrer berühmt, berüchtigten Kopfschmerzattacken bekommen. Ich startete einen letzten Versuch und rief sicherheitshalber doch noch mal bei Bibi an, alles was ich lediglich zu hören bekam, war ihre warme Stimme auf dem Band des Anrufbeantworters. Das war´s. Die letzte Möglichkeit war dahin und ich musste Lou wohl oder übel doch absagen. Ich konnte ja mein Kind nicht allein lassen, dafür musste er einfach Verständnis haben.

Entschlossen erhob ich mich und marschierte zu seinem Büro. Dort klopfte ich enthusiastischer gegen die Tür, als ich mich fühlte und wartete auf sein übliches  „Herein". Erst danach drückte ich vorsichtig den Türknauf hinunter und betrat den kleinen Raum, der an so regnerischen Tagen wie heute, immer eine zusätzliche Beleuchtung brauchen konnte. Das einzige Fenster hier drin war winzig und selbst an sonnigen Tagen kam kaum genug Licht hinein. Mein Chef saß hinter einem Berg aus Papierkram und sah neugierig zu mir.

„Bella, gibt’s noch was?“

Ich hatte ein schlechtes Gefühl, weil ich ihn enttäuschen musste. Er hatte es in letzter Zeit sowieso nicht leicht und eine Bedienung zu wenig, bedeutete weniger Umsatz und verärgerte Kunden.

„Lou, ich kann Anna´s Schicht nicht übernehmen. Ich habe niemanden erreicht, der Danny abholen und ihn betreuen kann. Es tut mir sehr leid, aber du musst jemand anderen dafür hernehmen", sagte ich niedergeschlagen und wartete gespannt auf seine Reaktion.

Er kratzte sich den haarlosen Kopf und schien zu überlegen.

„Hm, leider hab ich außer dir keine Alternativen", sprach er meine schlimmsten Befürchtungen aus. Er machte ein angestrengt wirkendes Gesicht und plötzlich hellten sich seine Züge auf. „Ich hab eine tolle Idee!“, rief er freudestrahlend aus. Lou stand auf, kam um den Tisch herum zu mir rüber und legte mir eine seiner riesigen, behaarten Pranken auf die Schulter. „Bring den Zwerg doch mit hier her. Hier passiert ihm nichts und es wäre schließlich nicht das erste Mal.“

Zweifelnd sah ich ihn an.

„Bist du sicher? Nicht, dass er dir was durcheinander bringt.“

„Ach was, der Knirps macht schon nichts kaputt. Es ist ja nicht für lange und irgendwann wird deine Bibi ja wieder zuhause war.“

Ich fackelte nicht lange.

„Also gut, dann mach ich mich auf den Weg, hol ihn ab und bring ihn dann hierher.“

Er grinste an und war selber ganz hin und weg von seinem Einfall. Erleichtert erwiderte ich das Lächeln und fühlte mich sofort besser.  Danny würde begeistert sein, da er mich schon immer gern hier besuchen kam, wenn er mit Bibi unterwegs war. Für ihn war das wie ein großes Abenteuer, wenn er seine Mommy bei der Arbeit besuchen konnte. Es war keine Ideallösung, aber ich konnte zumindest ohne größere Sorgen meiner Arbeit nachgehen und mich in den Pausen um ihn kümmern. Ich bedankte mich noch mal bei Lou und machte mich dann auf den Weg zu Dannys Vorschule. Er wartete schon an der Eingangstür und kam mir sofort entgegen geflogen. Glücklich schloss ich meinen Zwerg in die Arme und drückte ihn fest an mich.

„Hey, Tiger. War´s schön heute?“, wollte ich wissen und strich ihm eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht.
Er nickte strahlend.

„Wir haben gemalt. Gehen wir jetzt in den Park?“

Jetzt kam der weniger angenehme Teil.

„Danny, das mit dem Park wird leider nichts. Was hältst du stattdessen davon, mich ins Diner zu begleiten. Ich muss leider doch ein bisschen länger arbeiten, aber Lou würde sich freuen, wenn du ihn besuchen kommst. Ist das okay für dich?"

Er sah einen Moment enttäuscht aus, doch dies wich schnell einem fröhlichen Lächeln.

„Klasse, ich mag Opa Lou." Er legte seinen Kopf ein wenig schräg und grinste so breit, dass seine zwei Zahnlücken sichtbar wurden. „Krieg ich Pommes, wenn wir da sind…..bitte!“, fügte er noch treuherzig hinzu, weil er wusste, dass ich Wert darauf legte.

Ich tat so, als müsste ich überlegen und nickte dann lächelnd, was ihn jubeln ließ.

„Danke, Mommy“, brüllte er mir ins Ohr, bis ich halb taub war und fiel mir auf und ab hüpfend um den Hals. „Spielt Lou schwarzer Peter mit mir?“, wollte er dann noch hoffnungsvoll wissen und sah mich bittend an. „Hat er gemacht, letztes Mal. Bitte, Mom. Sag Lou, er soll mit mir spielen!“, forderte er mit kindlichem Eigensinn.

Ich seufzte still. Er war noch so klein und konnte nicht verstehen, dass die Erwachsenen oft keine Zeit für so etwas hatten. Was mich besorgt aufhorchen ließ, war sein Wunsch, Zeit mit Lou zu verbringen. Die wenigen Male, die er mich dort besucht hatte, schienen einen mächtigen Eindruck bei ihm hinterlassen zu haben. Es musste an Lou liegen, der sich bei diesen wenigen Gelegenheiten rührend um ihn gekümmert hatte. Danny fehlte eindeutig eine männliche Bezugsperson und klammerte sich schnell an männliche Personen in meinem Bekanntenkreis. Noch ein weiterer Grund, warum ich mich bei Männern zurückhielt. Ich wollte ihm nicht einen „Daddy" präsentieren, der nach der dritten Verabredung wieder seiner Wege zog. Solche Enttäuschungen wollte ich ihm auf jeden Fall ersparen. Nichts desto trotz brauchte er einen männlichen Part in seinem Leben, das merkte ich immer mehr, je älter Danny wurde.

Wir stiegen in mein altes, klappriges Auto und fuhren gemeinsam zurück ins Diner. Endlich wohlbehalten angekommen, parkte ich den alten VW im Hinterhof und betrat mit meinem Sohn das Restaurant. Rose war die Erste, die uns sah und mein Knirps rannte sofort in ihre ausgestreckten Arme. Sie war total vernarrt in Kinder, was man ihr so nicht ansah und diese Zuneigung wurde von Danny in gleichem Maße erwidert. Er drückte ihr einen dicken Schmatz auf die Backe und hinterließ einen feuchten Fleck auf der gepuderten Wange. Lachend wischte sie die Spuren seines Liebesbeweises weg und drückte ihn an ihre Brust.

„Danny, was für eine tolle Überraschung. Da kann mein Tag ja nur noch schöner  werden. Hilfst du Lou wieder bei seiner Arbeit?"

Danny richtete sich selbstsicher auf und straffte die schmächtigen Schultern.

„Ich schreibe seine Briefe. Er sagt mir die Buchstaben und ich drücke auf die Tasten", erklärte er eifrig und mit unverkennbarem Stolz.

„Lou ist dann bestimmt viel schneller fertig", meinte Rose und verwüstete seinen Haarschopf. Ich musste grinsen. Beim letzten Mal hatte Lou geschlagene zwei Stunden für eine kurze Nachricht gebraucht, aber er hatte tapfer die einzelnen Buchstaben diktiert, die Danny mit größter Konzentration eingegeben hatte.

Noch ein Grund mehr, warum ich so gerne hier arbeitete. Lou und die Anderen waren herzensgute Menschen, die mir meinen oft so schweren Alltag erleichterten. Sie alle hatten Danny gern und keiner störte sich an seinen ohnehin sehr seltenen Besuchen hier.

Nachdem ich ihn bei Lou unter großem Hallo abgegeben hatte, machte ich mich guter Dinge wieder an die Arbeit. Die Mittagszeit war immer sehr stressig und ich kam die nächste Stunde nicht dazu, nach ihm zu sehen. Als es wieder ruhiger wurde, sprach Rose mich an.

„Bella, hast du Lust heute Abend Pizza zu machen. Ich könnte zu euch kommen und wir machen uns einen schönen Abend. Wenn Danny schläft, können wir mal wieder richtig tratschen. Das würde dir mal guttun. Du siehst ein bisschen mitgenommen aus in letzter Zeit. Ich glaube, du brauchst mal wieder ein bisschen Abwechslung."

Erfreut blickte ich meine Freundin an. Das war in der Tat ein toller Vorschlag. Ein schönes Essen, ein wenig billigen Wein und ein gutes Gespräch unter Frauen.

„Das wäre großartig. Ich besorg uns dann noch eine Flasche Wein und wir machen es uns so richtig gemütlich."

Kaum hatte ich das ausgesprochen, stürmte ein neuer Schwarm Gäste das Diner und an weiterreden, war nicht mehr zu denken. Wir unterbrachen unsere Unterhaltung und wir machten uns wieder an die Arbeit, damit die hungrige Meute nicht ungeduldig wurde. Von Danny bekam ich nicht viel zu sehen. Der saß aber laut Lou, an seinem PC und spielte das Kinderspiel „Bob, der Baumeister“. Computer faszinierten ihn über alle Maßen, das war mir schon vor einer Weile aufgefallen, während er Ballspiele zwar liebte, aber recht talentfrei darin war. Oder anders ausgedrückt, die runde Kugel war sein natürlicher Feind. Danny hatte es mehr im Kopf, als in den Beinen, aber wir gingen trotzdem jeden Sonntag in den Park, wo er mit ein paar Freunden Fußball spielte.  Es war mir wichtig, dass er Kontakt zu anderen Kindern hatte und zum Glück ließen sie sich von Dannys Talent, regelmäßig über seine eigenen Beine zu stolpern, nicht abschrecken. Er spielte mit Begeisterung mit und wurde dadurch auch ein wenig besser.

Nach dem Ende meiner zusätzlichen Schicht verließen wir zu dritt das Diner. Rose ging gleich mit uns und fuhr nicht mehr nach Hause, so dass wir alle gemeinsam in den nächsten Supermarkt fuhren. Wir besorgten alle notwendigen Zutaten für unsere Pizza, eine Flasche billigen Rotwein und noch etwas Süßes zum Naschen. Vollbepackt mit den Einkäufen verließen wir das Geschäft und fuhren zurück in meine Wohnung. Danny war so  aufgeregt, weil Rose den Abend bei uns verbrachte, dass er unentwegt vor sich hinplapperte. Sie nahm es gutmütig hin und fing an mit seiner Hilfe den Teig zu machen.

Ich kümmerte mich um den Belag und summte gutgelaunt vor mich hin. Die Küche war schon immer einer meiner Lieblingsorte, ich kochte leidenschaftlich gerne und das schon seit meiner frühen Teenagerzeit. Da meine Mom bereits sehr früh verstorben war, hatte ich die hausfraulichen Pflichten übernommen und meinen Dad versorgt. Dazu gehörte auch das Kochen. Pizzateig jedoch, gehörte zu den Dingen, die ich in hundert Jahren nicht hinbekommen würde. Es endete immer damit, dass er zäh wie Gummi wurde und schnell den Weg in den Mülleimer fand. Rose dagegen kochte nie, aber Pizzateig machte sie grandios. Sollte sie je im Diner rausfliegen, konnte sie immer noch in einem Italo-Restaurant arbeiten.

Nach ca. einer halben Stunde war das Essen fertig und noch schneller in unseren hungrigen Mägen verschwunden. Satt und zufrieden setzten wir uns in mein kleines, aber gemütliches Wohnzimmer und sahen uns zusammen Ice Age an. Lachend genossen wir den lustigen Film und als der endlich zu Ende war, wurde es für Danny höchste Zeit ins Bett zu gehen. Er war sowieso schon länger auf als gewöhnlich und musste morgen früh wieder in die Vorschule.

„So, mein Schatz. Sag Rose gute Nacht und dann ab zum Zähneputzen", kommandierte ich liebevoll.

„Oh, Mommy, noch nicht. Ich bin noch gar nicht müde", bettelte er, doch ich blieb hart.

„Es tut mir leid, aber du musst morgen früh raus und du brauchst deinen Schlaf."

An meinem Tonfall erkannte er schon, dass es zwecklos war weiter zu betteln. Murrend, aber widerspruchslos wünschte er Rose eine gute Nacht und schlurfte beleidigt ins Badezimmer. Ich richtete in der Zwischenzeit sein Bett her und seinen Schlafanzug. Minuten später lag er fertig in seinem Bett und obwohl er steif und fest behauptete nicht müde zu sein, zeigte sein ausgiebiges Gähnen etwas anderes.

Nach kurzer Zeit schlief er tief und ich ging zurück ins Wohnzimmer. Rose hatte jedem von uns ein Glas Rotwein eingeschenkt und ich setzte mich erschöpft neben sie auf das Sofa. Es war schön, mal einen Abend nicht allein vor dem Fernseher zu verbringen, sondern einen Menschen zu haben, mit dem man sich unterhalten konnte.

Rose sah mich durchdringend an.

„Jetzt spuck´s schon aus. Was hast du auf dem Herzen? Ich spüre doch schon seit Tagen, dass dir was auf der Seele brennt."

Ich seufzte und schüttelte den Kopf.

„Es ist nichts, Rose. Es ist nur.... ach, ich weiß auch nicht", antwortete ich traurig.

„Weißt du", setzte ich neu an, „manchmal…da frage ich mich, ob das alles ist, was ich noch vom Leben zu erwarten habe. Morgens aufstehen, Danny zur Schule bringen, den ganzen Tag arbeiten, abends fernsehen und dann ins Bett. Selbst am Wochenende muss ich arbeiten.“ Schuldbewusst spielte ich mit meinen Fingern und hielt den Blick gesenkt. Ich wusste nicht mal, warum ich ein schlechtes Gewissen hatte, aber ich fühlte mich schlecht, weil ich nicht rundum glücklich war. Ich hatte doch Danny, warum war ich damit nicht einfach zufrieden? Doch noch etwas lag mir auf dem Herzen. „Weißt du, was das allerschlimmste ist?“ Rose schüttelte den Kopf. „Das Schlimmste an der Sache ist, dass ich viel zu wenig Zeit für Danny habe. Sie läuft mir praktisch davon und ich habe Angst, die wichtigen Dinge in seinem Leben zu verpassen. Was, wenn ich nicht oft genug für ihn da sein kann? Wenn er sich allein gelassen fühlt? Das kann ich doch nie wieder gut machen", fügte ich in einem Anflug von Verzweiflung hinzu.

"Dann gib doch den Job im Club auf", schlug Rose ahnungslos vor.

Ich lachte deprimiert auf.

„Das geht nicht. Ich muss schließlich Rechnungen bezahlen. Es ist eher so, dass ich noch einen dritten Job brauchen könnte, anstatt einen weniger. Ich werde wohl  auf absehbare Zeit auch das Auto aufgeben müssen. Die ständigen Reparaturkosten fressen meine ganzen Reserven auf, das kann ich mir bald nicht mehr leisten."

Rose sah mich entsetzt an und zögerte keinen Augenblick, bevor sie sagte.

„Ich habe nicht gewusst, dass es so schlecht aussieht“, meinte sie betroffen und legte ihre Hand auf meine. „Bella…ich habe ein bisschen Geld gespart...," fing sie an und wurde sofort von mir unterbrochen.

„Nein!", schrie ich entsetzt, „Komm bloß nicht auf die Idee, mir Geld leihen zu wollen. Ich werde es dir niemals zurückzahlen können. Rose, es ist wirklich lieb von dir, dass du mir helfen möchtest, aber da muss ich alleine durch. Ich werde es schon irgendwie schaffen. Bis jetzt habe ich das auch hinbekommen."

Trotz meiner Anlehnung, sah ich meine Freundin dankbar an. Sie seufzte tief.

„Na gut, ich kann dich nicht dazu zwingen. Ich will nur, dass du weißt, dass du immer auf mich zählen kannst."

Gerührt blickte ich Rose an. Trotz aller Probleme konnte ich mich glücklich schätzen, weil ich Menschen kannte, die es gut mit mir meinten. Da war Lou, der beinahe die Vaterrolle ausfüllte, meine Nachbarin Bibi, die sich regelmäßig um Danny kümmerte und dann war da noch Rose, die sich Gedanken um mich machte. Das war mehr, als viele andere Menschen hatten und ich wollte nicht mehr jammern.

„ Solange ich eine Freundin habe wie dich, Rose, kann mir nicht viel passieren", sagte ich grinsend und prostete ihr zu.

Sie hob ebenfalls ihr Weinglas und stieß etwas beruhigter mit mir an. Viel später, als Rose schon längst weg war, konnte ich lange nicht einschlafen. Ich stand auf und ging hinaus auf die Feuerleiter, die neben dem Schlafzimmerfenster montiert war. Während ich den nächtlichen Geräuschen der Großstadt zuhörte - Autolärm, Polizeisirenen und vieles andere - gingen mir die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. Was würde mit Danny geschehen, wenn mir je etwas passierte?

Ich musste mich irgendwann mit solchen Dingen auseinandersetzen, denn bisher hatte ich das erfolgreich vor mir hergeschoben. Aber gerade heute war mir klargeworden, dass es keine Blutsverwandten gewesen waren, die mir unter die Arme gegriffen hatten. Diese Menschen konnten mir mal aushelfen, wenn es um die Betreuung ging. Aber was, wenn mir tatsächlich was passierte? Mal auszuhelfen war eine Sache, sich aber dauerhaft um ein fremdes Kind zu kümmern, eine andere. Es wurde Zeit, dass ich mir etwas überlegte. Nur im Augenblick, hatte ich leider keine Ahnung, wie ich das bloß anstellen sollte.

Kapitel 3 - Die erste Begegnung

Frierend wartete ich vor dem Hintereingang des Clubs auf Rosalie. Der Plan sie meinem Boss Jasper Whitlock vorzustellen, hatte mit dem vereinbarten Treffen hier endlich Gestalt angenommen und sie würde hoffentlich jeden Augenblick aufkreuzen, bevor ich mir in dieser Arschkälte sämtliche Gliedmaßen abfror. Jasper hatte nichts dagegen gehabt, sie sich wenigstens mal anzusehen und damit hatte sie den Job quasi schon in der Tasche. Er wäre verrückt sie nicht zu nehmen. Wo schöne Frauen waren, da befanden sich auch haufenweise männliche Gäste, die ihr Geld ausgaben. Das Dumme war nur, dass sie einfach nicht auftauchte und langsam wurde die Zeit knapp.

Irritiert über diese untypische Unzuverlässigkeit, blickte ich die dunkle Straße hinab und runzelte dabei die Stirn. Verdammt, wo blieb sie denn nur? Hüpfend sprang ich auf und ab, um mich ein wenig aufzuwärmen und rieb die klammen Finger aneinander. Immer wieder schaute ich auf die Uhr und ärgerte mich ein wenig darüber, dass sie sich tatsächlich verspäten würde, wenn sie nicht in den nächsten Augenblicken aufkreuzen würde. Jasper hasste Unpünktlichkeit und wenn sie schon zum Vorstellungsgespräch zu spät kam, würden ihr ihre langen blonden Haare und das schöne Gesicht auch nichts mehr nutzen. Meine Geduld neigte sich auch rapide dem Ende zu,  als ich sie in einem Affentempo auf mich zurennen sah. Erleichtert  atmete ich auf und wartete, bis sie schnaufend vor mir zum Stehen kam. Rosalie atmete heftig und hielt sich die Seiten.
 
„Entschuldige", japste sie und beugte ihren Oberkörper nach vorne, „die U-Bahn kam viel zu spät…. ein Unfall …..es hat….“, sie schnappte erneut nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen, „…. sich wohl jemand vor die Gleise geschmissen. Ich musste laufen und  bin jetzt völlig fertig…..sorry."

Gierig sog sie erneut die Luft ein und erholte sich so langsam von ihrem Sprint. Von meinen Sorgen befreit, sah ich sie lachend an.

„Mann, Rose! Deine Kondition ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Jetzt müssen wir uns aber beeilen. Jasper wartet nicht gerne."

Wir traten durch einen breiten Eingang in einen schmalen, sehr langen Gang ein, der zu den Privaträumen des Clubs führte. Die Wände waren kahl, der Putz zeigte erste feine Risse und auch sonst wirkte es nicht sonderlich einladend. Ich fing Rose zweifelnden Blick auf und führte sie schnurstracks durch den  Flur, bis wir vor einem zweiten Eingang hielten. Seitlich war ein Apparat befestigt – die Alarmanlage, deren Punkt momentan grün leuchtete, da sie entsichert war. Wie immer, zog ich meine Personalkarte durch den Schlitz,  ein leises Summen ertönte und ich konnte die dicke Stahltür aufstoßen, die in Jaspers Reich führte. Hier wirkte alles schon viel freundlicher und Rose sah sich neugierig um. Hier waren die Wände nicht schmutziggrau, sondern strahlend weiß gestrichen, der Boden war sauber und auch sonst machte alles einen viel solideren Eindruck. Mehrere Türen führten in unterschiedliche Räume. Der Personalraum war verschlossen, genau wie Jaspers Büro und der Notausgang, der in solchen Etablissements vorgeschrieben war und sich aber jederzeit von Innen öffnen ließ.  Am Ende des Ganges gab es eine kleine Treppe, deren wenige Stufen hinunter zu einer dunkelvertäfelten Tür führten. Von dort aus gelangte man direkt in den Club hinein.  Doch jetzt zog es mich erst mal woanders hin und ich klopfte leise bei Jasper an. Um diese Zeit war er meistens noch dort. Erst kurz bevor  die ersten Gäste eintrudelten, ließ er sich draußen blicken, um den Clubraum noch einer letzten Kontrolle zu unterziehen. Jasper war unglaublich pingelig und wenn nicht alles an seinem Platz war und vor Sauberkeit blinkte, konnte er ziemlich unangenehm werden.

„Herein!“, hörte ich dumpf seine Stimme durch das Holz und ich nickte Rose aufmunternd zu.

„Na los, du kannst unbesorgt reingehen. Er beißt nicht und erwartet dich schon. Wir treffen uns dann draußen im Club, sobald ihr fertig seid.“ Damit öffnete ich ihr die Tür, sie trat mit einem höflichen „Guten Abend, Mr. Whitlock“ hinein und ich schloss vorsichtig die Tür hinter ihr.  Alles Weitere musste sie selber machen. Schnell lief ich zum Umkleideraum, in dem sich außer mir keiner mehr befand. Routiniert öffnete ich meinen Spind und holte meine Arbeitskleidung raus. Alle weiblichen Bedienungen trugen ein kurzes, schwarzes Kleid. Es war sexy, wirkte aber zum Glück nicht billig, und endete knapp oberhalb der Knie in einem leicht ausgestellten Rock. Trotzdem war es für meinen Geschmack noch zu aufreizend, ich fühlte mich in Jeans und meinen heißgeliebten Rollkragenpullovern einfach am Wohlsten. Sicherer. Schnell schlüpfte ich in das Kleidchen hinein, zupfte noch ein wenig am Ausschnitt herum, in dem völlig aussichtslosen Versuch ihn ein gutes Stück nach oben zu ziehen. Danach prüfte ich kurz am Spiegel neben der Tür, ob sich meine hochgesteckten Haare noch an ihrem Platz befanden und trollte mich dann zu den anderen in den Club. Schon bevor ich eintrat, konnte ich  von außen die laute Musik gedämpft  durch die Tür hören und  sobald ich diese aufstieß, schallte sie mir auch bereits in voller Lautstärke entgegen.

Es war jedes Mal von neuem beeindruckend,  wenn ich diesen großflächigen  Raum betrat. Den Mittelpunkt bildete eine riesige Bar, die wie ein Quadrat mitten im Club stand. Drumherum konnten es sich dir Gäste auf den Barhockern gemütlich machen, oder sich in die etwas versteckteren Bereiche mit den Tischgruppen zurückziehen. Auf der oberen Etage befand sich der VIP- Bereich. Dort hielten sich nur die reichsten und wichtigsten Gäste auf, ein Security verhinderte, dass ein Normalsterblicher dort hinaufgelangte. Grüßend trat ich an die lange Bar und nickte unserem frechen Barkeeper zu, ehe ich einen Blick auf den heutigen Einsatzplan warf. Sofort stöhnte ich innerlich auf, als ich lesen musste, dass ich zusammen mit Alice unsere superreichen VIP´s bedienen musste. Das hieß wieder dämliche Anmache und noch dämlichere Sprüche von diesen Möchtegern Machos, die mehr Dollars auf ihrem Konto liegen hatten, als Gehirnzellen in ihren Köpfen.

Ich sah mich um und entdeckte die kleine Schwarzhaarige am Tresen. Alice lachte und befestigte nebenbei ihren Geldbeutel an der Hüfte.

„Hi, Alice", rief ich über den Krach hinweg und sie drehte sich um. Das kinnlange, tintenschwarze Haar flog ihr ums Gesicht und ihre grünen Augen strahlen, sobald sie mich entdeckte.

„Hey!“

Fröhlich winkte sie und kam tänzelnd auf mich zu. Sie war schon ein verrücktes Huhn und wer sie nicht kannte, dachte unwillkürlich, sie hätte eine Handvoll Muntermacher verschluckt. Aber es lag einfach in ihrer Natur gute Laune zu haben und sie versprühte sie großzügig an ihre Umgebung.

„Bella, wie schön, du bist endlich hier. Ich wollte schon eine Vermisstenanzeige aufgeben.“

„Sorry, mir kam noch was dazwischen, aber du brauchst keine Angst zu haben, dass du allein da rauf musst.“ Ich deutete mit einer leichten Kopfbewegung nach oben und sie verzog ein wenig das Gesicht.

„Du hast also schon gesehen, dass wir zwei heute wieder die Ehre haben. Mal sehen, was für Sprüche unsere oberen Zehntausend heute wieder draufhaben."

Ich verzog  ebenso genervt mein Gesicht, wie Alice gerade eben.  Sicher, die Trinkgelder waren hervorragend, aber lieber hätte ich meinen Abend zusammen mit einer Horde Affen verbracht, als mir das geistlose Gequatsche von diesen Neureichen anzutun. Auch ich nahm meinen bereits bestückten Geldbeutel aus dem kleinen Tresor unterhalb der Bar und hängte ihn mir um die Hüften und machte mich mit ihr auf den Weg zur Treppe. Jeden Augenblick würde der Club seine Pforten öffnen und die Gäste wie ein Bienenschwarm hereinströmen. Die Putztrupps wischten noch die letzten Tische ab und auch das restliche Personal machte sich bereit, um die Mengen an Gästen anzufertigen. Kurz darauf war es auch schon soweit und wie immer war der Laden innerhalb weniger Minuten rappelvoll. Alice und ich begaben uns auf die Empore und bedienten die ersten Gäste. Es war ein knochenharter Job. Ständig musste man die Stufen mit den Tabletts rauf und runter laufen und wehe es dauerte mal länger. Diese Gäste waren unglaublich anspruchsvoll und es war schwer ihnen immer gerecht zu werden. Die Musik donnerte zusätzlich ohrenbetäubend durch den Raum, die Luft war verraucht und die Menschenmassen, die sich über die Tanzfläche bewegten, sorgten für einen unangenehmen Schweißgeruch. Ich blendete all diese Eindrücke aus und machte einfach meine Arbeit. Nebenbei schaute ich mich mehrmals suchend um, in der Hoffnung, irgendwo in der Menge Rose zu entdecken.

Das Gespräch dauerte schon ziemlich lange, was positiv war. Ich war mir sicher, dass sie den Job bekommen würde und wohl gerade den Vertrag unterschrieb. Nach einigen weiteren Minuten entdeckte ich dann schließlich ihren blonden Haarschopf in der Menge. Sie versuchte gerade vergeblich einen Kerl loszuwerden, der sich an ihren Rockzipfel gehängt hatte und kämpfte sich bis ans Fußende der Treppe. Der Security stoppte sie und auch der herzerweichende Blick aus ihren blauen Augen, half ihr da nicht weiter. Schnell ging ich zu ihr hinunter.

„Wie ist es gelaufen?", fragte ich sie atemlos.

Sie grinste triumphierend und zwinkerte dem Bodyguard zu, der sie trotz seiner Weigerung, sie nach oben zu lassen, hingerissen anstarrte. Innerlich seufzte ich. Ob mich jemals ein Mann so ansehen würde? Ich bezweifelte es stark.

„Ich hab den Job", schrie sie laut um den Lärm zu übertönen, „ nächste Woche fange ich an."

„Das ist ja großartig!", schrie ich ebenso laut zurück und drückte sie begeistert. „Hör mal, ich muss jetzt weitermachen. Wir telefonieren morgen, okay!"

Sie gab mir durch Handzeichen zu verstehen, dass sie verstanden hatte und verließ  unter den begehrlichen Blicken einiger Männer den Club. Etwas besser gelaunt machte ich mich wieder an die Arbeit. Zur Abwechslung waren die Gäste heute mal ganz erträglich, doch nur ein paar Minuten später wurde ich eines Besseren belehrt.

Während ich einen  reservierten Tisch ganz in der Ecke des VIP-Bereichs abwischte, hörte ich eine weibliche Stimme hinter mir. Sie klang ziemlich geringschätzig, geradezu verächtlich und ich erstarrte mitten in der Bewegung.

„Edward, warum müssen diese Bedienungen immer so lahm sein? Die wischt schon eine Ewigkeit an diesem Tisch rum. Man sollte es Jasper sagen, was für eine unfähige Person er da unter seinem Personal hat und sie rausschmeißen."

Meine Erstarrung löste sich schlagartig und ich drehte mich abrupt um. Wie erwartet stand ich einer kleinen Gruppe schöner Menschen gegenüber. Die weibliche Stimme von eben gehörte zu einer hübschen Rothaarigen, die mich verächtlich musterte. Schluckend nahm ich die anderen nur noch schemenhaft wahr, da ihre Worte mich sehr getroffen hatten. Hinzu kam noch die Angst, dass sie ihre Drohung wahrmachen würde und Jasper um meine Entlassung bitten würde. Ich straffte die Schultern und sah die Frau fest an. Jetzt half nur die Flucht nach vorn! Ich brauchte diesen Job um jeden Preis, sonst war ich aufgeschmissen.

„Verzeihen Sie, aber wir möchten unseren Gästen eine möglichst angenehme Umgebung bieten und geben uns daher besondere Mühe, alles sauber zu halten. Wenn dadurch eine kurze Verzögerung eingetreten ist, tut es mir leid. Ich hoffe der Rest des Abends wird zu Ihrer Zufriedenheit ausfallen", entschuldigte ich mich mechanisch und hätte am liebsten gekotzt, weil es mir so zuwider war, vor dieser eingebildeten Pute auf dem Boden zu kriechen. Doch der Gedanke an Danny und mein ziemlich leeres Konto half mir dabei. Abwartend sah ich die Frau an, aber sie schnaubte nur unwillig.

„Ja, ja ist schon gut“, erklärte sie dann zu meiner grenzenlosen Erleichterung. „ Machen Sie einfach fertig! Ich habe keine Lust hier noch länger rumzustehen."

Wie leicht es doch war, diese Leute zu manipulieren. Es reichte schon, sich unterwürfig zu geben und sie waren zufrieden. Das war erbärmlich und Verachtung stieg in mir hoch. Sollte ich jemals viel Geld besitzen, würde ich die Menschen nicht so behandeln. Jeder verdiente Respekt, egal, ob arm oder reich. Ich beugte mich nochmal über den Tisch und wischte hastig die Tischplatte sauber, ehe ich mich wieder aufrichtete, nur um wie vom Blitz getroffen zu erstarren.

Neben der unmöglichen Frau tauchte der schönste Mann auf, den meine Augen jemals erblicken durften. Er schlang besitzergreifend seinen Arm um ihre schmale Taille und streichelte mit der Hand ihre Hüfte auf und ab. Doch obwohl er gerade eine andere Frau liebkoste, brannte sich sein Blick in meinen. Dunkelgrüne, tiefliegende Augen beherrschten ein perfekt geformtes Gesicht und ein respektloses und geradezu anzügliches Lächeln umspielte die vollen Lippen. Er war groß, wenn ich mich neben ihn stellen würde, dann wäre er bestimmt zwanzig Zentimeter größer als ich. Meine Augen glitten wie ferngesteuert über seine restliche Gestalt und nahmen jede noch so kleine Einzelheit auf. Auffällig war die Haarfarbe dieses Mannes. Ein ganz außergewöhnliches und schönes Bronzebraun, das wunderbar mit seinen eher blassen Gesichtszügen und seinen Augen harmonierte. Der leichte Dreitagebart, der seine Wangen und das Kinn bedeckte, bewahrte ihn davor zu verweichlicht auszusehen und verlieh ihm einen ganz eigenen Sexappeal. Seine Schultern waren breit und der restliche Körper wirkte passend zu seiner Größe eher athletisch, als übermäßig muskulös. Der Kerl hatte richtige Modelmaße, aber nicht so androgyn wie es momentan so gefragt war, sondern eher männlich markant mit klassischer Eleganz gepaart. Ein James Bond Typ, schoss es mir durch den Kopf, während ich merkte, wie sein intensiver Blick mir die Hitze in die Wangen trieb. Auch das noch!

Den Augenkontakt abbrechend trat ich zur Seite, damit sie sich setzen konnten. Er und die Rothaarige waren in Begleitung von drei weiteren Personen. Ein großer und muskulöser Mann mit dunklen Locken, der mich seltsamerweise freundlich anlächelte, dann noch ein blonder Kerl mit schmierigem Grinsen, der seiner Begleiterin gerade die Zunge bis zum Anschlag in den Hals steckte. Sie schoben sich nacheinander an mir vorbei, um endlich den ersehnten Sitzplatz in Beschlag zu nehmen. Der Schönling nutzte sofort die Gelegenheit und ging so eng wie möglich an mir vorbei. Er streifte mich leicht seitlich und ein wahrer Schauerregen überzog meinen gesamten Körper. Auch dieser männlich herbe Geruch den er verströmte, erschlug mich förmlich. Verwirrt starrte ich auf die Gruppe hinunter und brachte nur mühsam die nächsten Worte raus.

„Guten Abend, mein Name ist Bella und ich werde mich heute Abend um Sie kümmern. Was darf ich Ihnen bringen?"

Wusste Jasper eigentlich wie zweideutig dieser Satz klang? Aber er bestand darauf, sich den Gästen so vorzustellen, obwohl ich mir deswegen schon viele eindeutige Kommentare antun musste. Der attraktive Fremde namens Edward, fuhr sich durch sein bronzefarbenes Haar und grinste mich süffisant an.

„Bella, was für ein hübscher Name“, stellte er  fest. „Da hab ich aber Glück, dass du dich um unser Wohl kümmerst. Wie weit geht denn dein Service?"

Er lachte dreckig und ich war entsetzt, weil er mich so offen beleidigte. Ich war doch keine Nutte! Die anderen fanden das aber ziemlich lustig und stimmten in sein blödes Lachen mit ein. Nur der Große mit den Locken hielt sich zurück und verzog angewidert den Mund. Wenigstens einer mit ein bisschen Anstand dachte ich und fragte mich gleichzeitig, warum er mit solchen Idioten unterwegs war. Dann starrte ich wieder diesen Edward an und war irgendwie enttäuscht. Wie konnte so ein schöner Mensch nur so gemein sein? Geld verdarb wirklich den Charakter, denn das musste er im Überfluss besitzen, wenn er sich für sein Outfit und die Accessoires nicht hoffnungslos in Schulden gestürzt hatte. Doch eigentlich hatte er die Ausstrahlung eines Menschen, der sich nicht um ein paar Dollar mehr oder weniger sorgen musste. Zudem trug er eine superteure Uhr ums Handgelenk. Eine Breitling. Die erkannte sogar ich auf den ersten Blick, weil ich mir gern die funkelnden Auslagen der Juweliere anschaute. Ich müsste für so ein Ding mindestens ein Jahr lang arbeiten und er trug sie mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte er sie für ein paar Cent aus einem Kaugummiautomaten gezogen.

„Sir, ich bin für Ihre Getränke zuständig und nicht zu Ihrer Belustigung da", erwiderte ich gespielt selbstsicher, obwohl mir die Knie zitterten. Ich wollte keinen von denen verärgern, weil ich meinen Job gerne behalten hätte, aber ich wollte mich nicht weiterhin beleidigen lassen. Er lehnte sich zurück und musterte mich träge von oben bis unten. Ich spürte seine Blicke, als würde er die Konturen meines Körpers mit den Händen nachfahren und irgendwie spürte ich auch, dass er das wohl auch ganz gerne gemacht hätte. Er leckte sich leicht über die Lippen, biss sich dann auf die untere und wirkte keineswegs beeindruckt von meinem Ausbruch. Das Lächeln auf seinem Gesicht vertiefte sich, ehe er sich wieder an seine Begleiterin wandte.

„Wie schade, dann muss ich mich halt wieder mit dir begnügen, Tracey", frotzelte er.

Wow, was für ein Riesenarschloch, schoss es mir sofort durch den Kopf und ich bekam sogar Mitleid mit der Frau, obwohl sie nicht sonderlich nett war. Doch sie tat es nur mit einem Schulterzucken ab.

„Edward, solange du meine Rechnungen zahlst, kannst du dich mit der Kleinen vergnügen, solange du willst. Du hast genug Kraft und Ausdauer, um dich mit zwei Frauen zu befassen, ich werde sicher nicht darunter leiden."

Mein Mitleid schwand sofort und ich fühlte mich wie in einem schlechten Film. Diese kleine Gruppe präsentierte mir eindrucksvoll, wie anders ihre Welt doch war. Verdorben durch zu viel Geld, interessierten sie sich nicht für die Gefühle anderer, und in diesem Fall nicht mal für die Eigenen. Machte es ihr denn gar nichts aus, dass ihr Freund offen eine andere anmachte? An ihrer Stelle wäre ich ausgeflippt, denn sie zeigte deutlich, dass es ihr wohl nur um sein Bankkonto ging.  Viel Kohle, aber kein Stolz. Na, besten Dank auch! Das war in meinen Augen ausgleichende Gerechtigkeit und ich fühlte mich sofort wieder etwas besser und sicherer.

„Bringen Sie uns doch bitte allen einen Martini. Ich denke, das war es für das Erste", sagte der Dunkelhaarige freundlich und unterbrach so diese unangenehme Situation.

Erneut fragte ich mich, warum er sich mit denen abgab? Die Frage wurde mir gleich darauf beantwortet.

„Brüderchen, warum so voreilig?", zischte dieser Edward eiskalt und warf mir einen komischen Blick zu, unter dem mir ganz unwohl zumute wurde. Ich fühlte mich wie eine Beute, die gejagt und schon bald erlegt werden würde.  Es passte ihm jedenfalls nicht, dass sein Bruder sich eingemischt hatte. „Ich war noch nicht fertig mit ihr, Emmett. Sie holt die Bestellung, wenn ich es sage und keine Sekunde eher."

Wütend wartete ich die Antwort des netten Mannes gar nicht erst ab, der nur genervt den Kopf nach hinten fallen ließ und die Augen verdrehte.

„Aber ich bin fertig mit Ihnen!", schrie ich sauer und kam einen Schritt näher an ihn heran. Da er in dem weichen Sessel thronte wie ein Prinz, war ich diejenige, die ihn jetzt überragte. Ich lehnte mich ein gutes Stück nach vorne zu ihm hin und achtete nicht darauf, dass ich ihm so einen hübschen Einblick in mein Dekolleté gewährte.

„Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Freundchen!“, zischte ich wütend und vergaß meinen Job und meine bescheidene finanzielle Situation. „So viel Geld können Sie gar nicht bezahlen, damit ich so jemanden wie Sie weiterhin bediene. Sie sind der schlimmste Kotzbrocken, der mir hier jemals begegnet ist und glauben Sie mir, ich habe schon einige kennen gelernt. Meinetwegen rennen Sie zu meinem Boss und heulen Sie ihm die Ohren voll, aber mit mir spielen Sie solche Spielchen nicht.“

Seine Augen weiteten sich erstaunt und er war zu verblüfft über meine Attacke, um darauf zu reagieren. Ich nutzte seine augenblickliche Sprachlosigkeit, drehte mich  auf dem Absatz um und stürmte die Treppen runter. Als hätte er etwas geahnt, kam mir Jasper entgegen und ich segelte fast schon in seine Arme, weil ich Tollpatsch die letzte Stufe verfehlte und gerade noch so vor einem peinlichen Sturz bewahrt wurde. Doch das machte mir momentan nichts aus, weil ich immer noch stinkend wütend war. Ich warf einen Blick nach oben und sah, dass er mich weiterhin anstarrte. Sein Gesichtsausdruck war verbissen und alles andere als fröhlich.

„Jasper, ich kann diese Leute da oben nicht mehr bedienen. Das Verhalten dieses Kerls da oben, ist einfach widerlich. Er behandelt mich wie ein Stück Dreck und hat mich beleidigt. Selbst wenn ich dafür rausfliege, ich werde da nicht mehr raufgehen."

Jasper blickte hoch, erkannte wohl sofort, wen ich meinte und nickte verstehend.

„Du hast die Aufmerksamkeit von Edward Cullen geweckt, du armes Ding. Der lässt sich nicht von einer Frau abkanzeln und vergisst es dann.“ Jaspers blaue Augen blickten mitleidig. „Oh Bella, der wird dir nachstellen, bis du ihm nachgibst. Durch deinen Abgang hast du sein Interesse höchstens noch verstärkt. Er kann es gar nicht ab, wenn man sich ihm widersetzt. Das gilt geschäftlich genauso wie privat."

„Heißt das, ich muss da wieder rauf?" , brach es entsetzt aus mir heraus. Das kam gar nicht in Frage! Lieber hätte ich eklige Bahnhofstoiletten geschrubbt, als mich noch mal in die Nähe dieses arroganten Mistkerls zu wagen.  Mit weit aufgerissenen Augen sah ich zu Jasper hoch und betete um negative Antwort. Meine Gebete wurden erhört, denn Jasper schüttelte den Kopf.

„Nein, ich schicke jemand anderes hoch. Sally soll deinen Platz einnehmen. Sag ihr die Bestellung durch und dann tauscht ihr. Ich regle das mit Cullen, denn ich will ihn als Gast nicht verlieren.“

„Tut mir leid, aber er war so gemein“, erwiderte ich beklommen und war froh über Jaspers verständnisvolle Reaktion.

„Ist schon okay. Ich führe einen Club und kein Bordell. Meine Bedienungen sind dazu da, um die Getränke zu servieren und nicht, um die Männer hier zu belustigen. Ich werde ihm das schon begreiflich machen und er wird mir sicher nicht als Gast abspringen. Wenn du Glück hast, lässt er dich laufen."

„Glück hin oder her, wenn ich nicht will, kann er gar nichts ausrichten", sprach ich entschlossen.

Jasper lachte leise und sah mich an, als wüsste er etwas, das ich nicht wusste. Das machte mir ein bisschen Angst, aber ich schob dieses unnütze Gefühl von mir weg.

„Mach nicht den Fehler ihn zu unterschätzen, Bella. Da sind schon ganz andere auf die Nase gefallen. Er ist ein eiskalter Hund und hat keine Skrupel, sich einfach das zu nehmen, was er haben will. Fühl dich also nicht zu sicher und forder ihn nicht zu sehr heraus, wenn ihr das nächste Mal aufeinander trefft. Das könnte nach hinten losgehen."

„Woher kennst du ihn so gut?"

„Du hast doch bestimmt den großen Lockenkopf gesehen? Das ist sein Bruder Emmett. Ich bin mit ihm befreundet und daher bestens über Edward Cullens Charakter im Bilde."

Unbehaglich sah ich nach oben und merkte wie Cullen mich weiterhin wie hypnotisiert angaffte. Dieser Blick ging mir durch und durch. Jasper hatte Recht, Edward Cullen wollte mich haben. Aber warum in aller Welt ausgerechnet mich? Ich war wirklich nichts Besonderes. Mit den dunklen Haaren und der viel zu blassen Haut, war ich ganz hübsch, aber nicht so spektakulär wie die Rothaarige, die er bei sich hatte.  Das einzige worauf ich stolz sein konnte, war meine Figur. Trotz Kind war ich schlank und hatte perfekte Proportionen. Meine Beine waren auch hübsch anzusehen, obwohl sie wegen meiner bescheidenen Körpergröße von 1,63 nicht sehr lang waren.

Alles in allem spielte er in einer ganz anderen Liga und hätte trotz seines schweinischen Benehmens jede haben können – außer mir. Allerdings musste ich zugeben, wenn sein Auftreten nicht so großspurig und mies gewesen wäre, hätte ich durchaus schwach werden können. So aber verbaute er sich sämtliche Sympathien und ich war nur noch genervt. Jaspers Warnung nahm ich nicht allzu ernst, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass er mir noch mehr Aufmerksamkeit schenken würde.

„Ich danke dir dafür, dass ich da nicht mehr rauf muss", sagte ich ehrlich, „ich gehe jetzt zu Sally und sag ihr Bescheid."

Nach kurzer Erklärung tauschte ich mit Sally und bediente die Gäste im unteren Bereich. Es war unglaublich stressig, doch ich bewegte mich sicher durch die Menge und versorgte alle mit den bestellten Getränken. Glücklicherweise hatte ich meine Tollpatschigkeit größtenteils abgelegt, sonst wäre dieser Job ein Ding der Unmöglichkeit. Ich fühlte mich jetzt viel wohler und kurz bemerkte ich, dass Jasper bei IHM war und ihm was ins Ohr flüsterte. Neugierig wartete ich auf seine Reaktion, doch sein Gesichtsausdruck war undurchschaubar.

Kurz darauf zog er die Rothaarige an sich und küsste sie hart und verlangend, während Jasper wieder  nach unten verschwand. Der Anblick von ihm mit dieser Frau versetzte mir unerwartet einen kleinen Stich, doch schnell schüttelte ich dieses absurde Gefühl wieder ab. Ich konnte froh sein, wenn er sein Interesse wieder anderen Dingen oder Personen widmete. Doch irgendwie konnte ich die Augen nicht von dieser Szene abwenden und ich erschrak beinahe zu Tode, als ich merkte, dass er während des Kusses die ganze Zeit auf mich nieder sah. Dieser Kuss war nur eine reine Demonstration seiner Macht und nicht dazu gedacht diese Tracey zu verführen oder mich eifersüchtig zu machen. Er sagte aus, dass er sich wirklich nahm was er wollte, wann und wo es ihm gefiel.

Endlich ließ er von der Anderen ab und zwinkerte mir zu. Sein Mund formte lautlose Worte und ich glaubte ein "Es ist noch nicht vorbei" zu erkennen. Blitzartig drehte ich mich um und ging wieder meiner Arbeit nach. Von dem würde ich mich nicht unterkriegen lassen! Wenn er glaubte, er würde mich mit seinem Verhalten einschüchtern, dann hatte er sich geschnitten. Niemals würde ich ihm nachgeben, das schwor ich mir.

Den Rest des Abends schaffte ich es ihn zu ignorieren, obwohl ich genau wusste, dass er mich laufend beobachtete. Seine Anwesenheit reichte, um mich unglaublich nervös zu machen. Ständig verwechselte ich Bestellungen und ich machte drei Kreuze, als die Schicht endlich zu Ende war.

Müde und geschafft stieg ich in mein Auto und legte den Kopf auf dem Lenkrad ab, um durch zu schnaufen.  Edward Cullen war irgendwann plötzlich verschwunden, ohne sich mir nochmals zu nähern und ich hatte die schwache Hoffnung, ihn niemals wiederzusehen. Erleichtert startete ich mein Auto und hörte in der nächsten Sekunde nur ein grauenvolles Röcheln und Knattern, sobald der Motor anlief. Kurze Zeit später stieg Rauch aus der Motorhaube auf und ich zog den Schlüssel wieder ab und verließ schlecht gelaunt und fluchend den Wagen. Wütend und überfordert verpasste ich dem VW einen kräftigen Tritt.

„Du blödes Ding, hättest du damit nicht warten können, bis ich wieder zuhause bin?“ Ich blickte verzweifelt in den nächtlichen Himmel. Was hatte ich in meinem früheren Leben nur verbrochen, dass ich so gestraft wurde. Jetzt war ich gezwungen den Bus zu nehmen und brauchte mit Sicherheit doppelt solange, um nach Hause zu kommen.

„Kann ich dir irgendwie helfen?"

Diese amüsierte Stimme war mir nur allzu bekannt und als ich den Kopf herumriss, sah ich in das grinsende, hübsche Gesicht von Edward Cullen.

Kapitel 4 - Mich kriegst du nicht!

"Sie schon wieder," rief ich genervt aus.
Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ein Streitgespräch mit diesem Cullen, würde mir die letzten Kräfte rauben und ich verfluchte mein Schicksal, das mich erneut mit ihm zusammentreffen ließ.
Er schlenderte gemächlich in meine Richtung, die Hände locker in den Hosentaschen vergraben und begutachtete meinen qualmenden Wagen.
"Es scheint, als würde dein Auto in den letzten Zügen liegen," sagte er unnötigerweise.
"Das seh ich selber, danke auch," erwiderte ich, auch verärgert darüber, dass er mich einfach wieder duzte.
Der Rauch, der von der Motorhaube aufstieg, ließ langsam nach und ich verschloß den Wagen, nachdem ich meine Handtasche wieder an mich genommen hatte. Jetzt hieß es nur noch schnell weg. Seine Nähe machte mich schon wieder nervös und ich mußte schauen, dass ich Land gewann, bevor er das bemerkte.
"Also dann, ich werde gehen. Die U-Bahn-Station ist ja nicht weit."
Ich war schon auf halbem Weg und wiegte mich in Sicherheit, als sich eine kräftige Hand um meinen zarten Oberarm schloss.
"Nicht so schnell, meine Hübsche," sagte er und drehte mich zu sich.
Er musterte mich mit trägem Ausdruck. Er wirkte in diesem Moment so dekadent, dass es mir eiskalt den Rücken runter lief. Dieser Kerl wollte mich haben, das sah ich überdeutlich an seinem Blick, der gierig über meinen Körper glitt. Seine hypnotischen grünen Augen, bohrten sich in meine und unwillkürlich zog er mich näher an sich. Ich konnte seinen süßen Atem spüren, der über mein Gesicht lief und war für kurze Zeit wie berauscht. Die Augen schließend, sog ich diesen unwiderstehlichen Duft ein und registrierte viel zu spät, dass er mich nun vollends in eine Umarmung gezogen hatte.
"Ich wußte, du kannst dich nicht wehren," wisperte er triumphierend.
Das brachte mich sofort wieder zur Vernunft. Heftig stieß ich ihn von mir weg und funkelte ihn wütend an.
"Faßen Sie mich nie wieder an. Ich schwöre, jedes Körperteil von Ihnen das mich berührt, landet auf dem Müll. Lassen Sie mich in Ruhe und suchen Sie sich jemand anderen, mit dem Sie Ihre Spielchen treiben."
"Und wenn ich nur mit dir spielen will?"
Ungläubig starrte ich ihn an. Verstand er unsere Sprache nicht? Was außer "Nein" sollte ich denn noch sagen?
"Warum können Sie nicht einfach akzeptieren, dass ich nicht will. Nehmen Sie mein "nein" hin und gehen Sie."
"Wenn ich in meinem Leben immer ein "Nein" hingenommen hätte, dann wäre dies meiner Karriere nicht förderlich gewesen."
"Welche Karriere?," zickte ich," Die als Nervensäge oder die als triebgesteuerte Hormonschleuder?"
Uups, das hätte ich wohl lieber nicht gesagt, aber dieser Mann brachte meine schlechtesten Seiten zum Vorschein. Er presste auf alle Fälle seine Lippen wütend zusammen, während seine Augen tödliche Blitze abschossen.
"Zwischen uns ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, Herzchen," zischte er.
Sein Finger legte sich auf meinen Nasenrücken und er legte den Kopf schräg.
"Du bist wirklich bezaubernd, weißt du das, so zart und exqusit. Seit Ewigkeiten hat mich keine Frau mehr so gereizt wie du und noch viel länger ist es her, dass sich mir eine verweigert hat."
Der Finger liebkoste jetzt meinen Mund, fuhr die Umrisse nach und glitt schließlich in Richtung Brustkorb.
"Es ist mir gleich, wie lang es dauert und wie ich es anstelle, aber du wirst das Bett mit mir teilen, bis ich dich satthabe. "
Angst stieg in mir auf, nicht weil ich fürchtete, dass er mir körperlich wehtun würde, sondern, weil er eine eigentümliche Macht auf mich ausübte. Mit Mühe riss ich mich los und trat einige Schritte zurück.
"Ich sage es Ihnen nicht noch einmal, Mr. Cullen. Ich möchte von Ihnen in Ruhe gelassen werden. Hören Sie auf sich wie ein verdammter Stalker aufzuführen und verschwinden Sie."
Er besaß die Frechheit zu lachen.
"Du bist noch viel heißer, wenn du wütend bist. Ich muß dich öfter ärgern!"
"Ich ärgere mich schon bei Ihrem bloßen Anblick. Können Sie nicht woanders Ihren Charme versprühen? Bei verursacht er nämlich nur Brechreiz," schimpfte ich.
Doch das schien ihn nur noch mehr zu erheitern und sein Grinsen wurde immer breiter.
"Oh ja, es wird mir Spaß machen dich zu zähmen, mein Kätzchen. Es ist aufregend wie du die Krallen ausfährst."
Bei dem war wirklich alles verloren. Schade eigentlich, dachte ich unwillkürlich. Er war ein Bild von einem Mann. Seine Schönheit war fast überirdisch und erschlug einen beinahe. Unter anderen Umständen.... wenn er nicht so hinterlistig und verschlagen wäre.... dann vielleicht.....
Doch ich traute mich gar nicht diese Anwandlungen zuzulassen. Ich konnte nur beten, dass ihn Morgen die Vernunft packte und er sich ein Opfer suchte, das besser zu ihm paßte.
Sollte ich es vielleicht mit Vernunft probieren? Wir waren doch erwachsene Menschen und befanden uns nicht in der Steinzeit, wo die Höhlenmänner ihre Frauen, an den Haaren wegschleiften.
"Mr. Cullen, ich muß weder gezähmt, noch verführt werden. Ich bin doch gar nicht Ihr Typ. Wenn Sie ein bißchen darüber nachdenken, werden Sie sicher einsehen, dass Sie sich in Bezug auf mich irren."
Das mußte ihm doch einleuchten.
Er kam wieder näher heran und beugte sich über mich.
"Nein, du irrst dich. Du bist definitiv mein Typ und ich will dich haben. Je mehr du dich dagegen sträubst, umso attraktiver wirst du für mich."
Ich stieß ihn von mir und ging mit entschlossenen Schritten in Richtung U-Bahn.
"An mir werden Se sich die Zähne ausbeißen, Mr. Cullen," rief ich über die Schulter und beschleunigte mein Tempo.
"Ich liebe Herausforderungen, Bella," schrie er zurück.
Meinen Namen aus seinem Mund zu hören, erweckte seltsame Gefühle in mir. Verdammt, dieser Kerl ging mir unter die Haut. Doch nach den schlechten Erfahrungen mit Jake, war meine Angst vor Enttäuschung größer, als der Wunsch nach einem liebenden Partner. Und Cullen war weder das Eine noch das Andere. Er hatte ohne Skrupel zugegeben, dass es ihm nur ums Bett ging. Für eine rein sexuelle Beziehung war ich nicht zu haben, aber das würde dieser Kerl noch früh genug merken.
Ich erwischte die Bahn gerade noch, bevor die Türen sich mit einem leisen Zischen schlossen. Völlig fertig, sank ich auf einen der verschlissenen Sitze und schloss die Augen.
Wie weit würde er gehen um mich zu bekommen? Jaspers Warnung klang mir wieder in den Ohren. Er würde mich jagen, bis ich nachgab. Es schien tatsächlich ein Zeitvertreib für ihn zu sein. Beruflich hatte er alles, was man sich wünschen konnte und er suchte die Herausforderungen woanders. Dass es ausgerechnet ich war, die sein Interesse weckte, bereitete mir ein sorgenvolles Kribbeln in der Bauchgegend. Mit etwas Glück verlor er hoffentlich schnell das Interesse an mir und ich konnte mein Leben weiterleben wie gehabt. Komplikationen konnte ich nicht gebrauchen, da ich all meine Kraft und Energie brauchte, um Danny ein schönes Leben zu ermöglichen.
Drei Stationen später stieg ich aus, um den Rest zu Fuß zu gehen. Ein wenig frische Luft würde mir helfen den Kopf wieder klar zu kriegen. Der Morgen war angebrochen und die ersten Sonnenstrahlen erwärmten die kalte Luft. Die Blätter auf den Bäumen verfärbten sich zunehmend und leuchteten in den verschiedensten Rot- und Brauntönen. Ich liebte den Herbst in Seattle, da diese Stadt nicht umsonst, "The Emerald City" genannt wurde. In keiner Stadt der USA, gab es so viele Grünflächen wie hier und man hatte nie das Gefühl, in grauem Beton zu versinken. Während ich die kühle Morgenluft genoss und gemächlich nach Hause lief, kam mir Edward Cullen wieder in den Sinn. Etwas angesäuert registrierte ich, dass er seit unserer ersten Begegnung, meine Gedanken völlig beherrschte. Noch nie hatte ich jemanden kennengelernt, der so ....so...so ....mir fiel einfach kein passendes Wort ein, um ihn zu beschreiben.
Er besaß zweifelsohne eine enorme Anziehungskraft, die auch sein impertinentes Verhalten nicht mindern konnte. Diese unerträgliche Arroganz, mit der er durchs Leben ging, zeugte von Selbstbewußtsein. Die Art und Weise, wie er eine Frau ansah, war die pure Erotik und selbst ich, konnte mich dem nicht ganz entziehen. Alles an ihm wirkte anziehend. Von den Haaren bis zu den Fußspitzen war er perfekt und er nutze diesen Umstand weidlich aus. Ehrlich gesagt, war ich nicht sicher, ob ich ihm dauerhaft widerstehen konnte, wenn er ernst machte und mich nicht in Ruhe ließ.
Angeekelt von mir selbst, betrat ich den Eingang des Treppenhauses und lief die Stufen hoch. Der Fahrstuhl war wie immer defekt und das Schild Reparatur, hing schon seit zwei Wochen, ohne das sich etwas tat.
Entsetzt über mich selber, fragte ich mich schon, wie ich auch nur in Erwägung ziehen konnte, mich ihm hinzugeben. Fehlte mir Sex so sehr, dass ich jeden Stolz über Bord werfen würde.
Nein! Das konnte es nicht sein. Jake war der Einzige gewesen, mit dem ich geschlafen hatte und es war nie besonders toll gewesen. Diese Seite in meinem Leben, wurde von mir tief vergraben und ich lebte nur noch für mein Kind.
Ich schleppte mich die letzten Stufen nach oben und klingelte bei Mrs. Vogelman. Sie war seit dem Tag meines Einzugs, meine Freundin und Verbündete. Die liebenswerte alte Dame, unterstütze mich, wo sie nur konnte und eroberte in rasender Geschwindigkeit einen Platz in meinem Herzen. Ohne ihre Unterstützung hätte ich die erste schwere Zeit in Seattle nicht überstanden. Achtzehn Jahre jung und schwanger, stand ich völlig allein da und sie nahm mich sofort unter ihre Fittiche. Sie half mir bei den zuständigen Behörden, begleitete mich bei der Geburt und paßte seitdem täglich auf meinen Jungen auf. Sie war sowas wie unsere Familie geworden und wir liebten sie abgöttisch.
Die Tür öffnete sich leise und Barbara Vogelman, genannt Bibi, grinste mich schelmisch an.
"Wen haben wir denn da? Du bist ein bißchen später heute. Komm rein, Danny schläft noch tief und fest. Ich hab dir ein schönes Frühstück gemacht und danach legst du dich hin. Du mußt völlig übermüdet sein."
Liebevoll betrachtete sie mich und sofort fühlte ich mich geborgen.
Bibi war eine schlanke, elegante Erscheinung mit schneeweißem Haar, das immer zu einem Knoten im Nacken zusammengefaßt war. Sie wirkte wie eine Märchentante durch die Brille, die ihr immer von der Nasenspitze zu rutschen drohte. Dieser Eindruck wurde von ihrer Kleidung noch unterstrichen. Die feinen Röcke und Blusen ließen sie immer ein wenig zerbrechlich wirken, doch in dieser Frau steckte die Power von zehn Ringkämpfern. Sie hatte ihren Mann verloren und mußte sich in den frühen sechziger Jahren allein durchschlagen, mit ihren zwei kleinen Kindern. Bibi wußte genau wie ich mich fühlte und setzte alle Hebel in Bewegung, um mir zu helfen. Ihre Kinder waren inzwischen erwachsen und in verschiedene Bundesstaaten verstreut, doch sie besuchten die Mutter, sooft es ging. Trotzdem hatte sie sich einsam gefühlt und Danny und mich quasi adoptiert. Es war mein Glück und meine Rettung gleichzeitig. Dank Bibi, war ich in der Lage, einen Job anzunehmen und war nicht völlig auf die mickrige, staatliche Unterstützung angewiesen.
Behaglich seufzend ließ ich mich am Tisch in der Küche nieder und inhalierte genießerisch den Kaffeeduft, der mir verlockend in die Nase stieg, ein.
Hungrig biß ich in eine Scheibe Toast und blickte kauend in das neugierige Gesicht von Bibi.
"Was?!," fragte ich.
"Meine herzallerliebste Bella," fing sie an.
Oh je, wenn sie so startete, würde sie nicht locker lassen, bis sie alles aus mir herausgekitzelt hatte. Sie konnte in meinem Gesicht lesen wie in einem Buch und bemerkte sofort, dass sich etwas ereignet hatte.
Bevor sie auch nur weiter ausholen konnte, stoppte ich sie und gab mich geschlagen.
"Ist schon gut, ich erzähle dir was passiert ist. Aber ich möchte erst ein bißchen schlafen und zur Ruhe kommen."
Liebreizend verzog sie ihr faltiges Gesicht und klatschte in die Hände.
"Oh, jetzt bin ich aber neugierig. Du machst es so spannend. Aber iß und schlaf ruhig. Ich kümmere mich solange um Danny und heut Mittag gehen wir alle in den Park."
Zufriedengestellt aß ich auf und sah noch nach meinem Sohn, der in einem kleinen Gästezimmer schlief. Wenn ich über Nacht weg war, schlief er bei ihr, da sie diesem Babyfon nicht traute. Friedlich schlummerte er und lächelte selig. Er war so ein reizendes Kind . Zärtlich küßte ich seine runden Pausbacken und deckte die Füße zu, die er immer wieder freistrampelte. Die Tür vorsichtig schließend, schlich ich zurück ins Wohnzimmer und sah Bibi fröhlich summend die Blumen gießen.
"Ich geh dann mal rüber und schlafe noch vier Stunden. Ich komme dann rechtzeitig zum Essen."
Sie nickte und lobte den Benjamini, weil er so schöne neue Blätter bekommen hatte. Sie sprach mit ihren Pflanzen wie mit Menschen, da sie überzeugt war, dass sie dadurch besser gediehen.
Grinsend ging ich in meine eigene Wohnung. Sie war vielleicht manchmal ein wenig merkwürdig, aber ich liebte diese alte Dame einfach.

Kapitel 5 - Selbst im Park ist man nicht sicher

Um die Mittagszeit wachte ich auf und quälte mich aus dem Bett. Es war jeden Sonntag das Gleiche, nur heute war etwas anders.
Sofort sah ich vor meinem inneren Auge, Edward Cullen vor mir und ärgerte mich furchtbar darüber. Warum war es mir nicht möglich, diesen arroganten Schnösel aus meinen Gedanken zu verbannen? Jede Sekunde, die ich an ihn dachte, war verschwendet. Zwischen uns würde nie etwas laufen, da konnte er anstellen was er wollte.
Die Dusche weckte meine Lebensgeister und ich machte mich rasch fertig, um meinen Sohn zu holen.
Ich trat zur Tür hinaus und kam gar nicht mehr dazu die Klingel zu betätigen, als die Tür schon von innen aufgerissen wurde.
"Mummy," schrie Danny und sprang mir in die Arme.
Fest drückte ich ihn an mich und gab ihm einen Kuß aufs Haar.
"Guten Morgen, Schätzchen. Hast du Bibi beim Kochen geholfen?"
Danny war leidenschaftlich gerne in der Küche. Er richtete zwar immer ein heilloses Chaos an, doch seine Freude und sein Eifer machten das wieder wett.
"Klar," schrie er begeistert," wir haben Hühnchen gemacht mit Kartoffeln. Ich hab sie ganz allein geschält."
Ich konnte mir so ungefähr ausmalen, wieviel von den einzelnen Kartoffeln noch übrig war nach seiner Behandlung. Beim letzten Mal war an der Schale noch mehr Kartoffel dran, als an den fertigen Stücken.
"Schön, dann können wir ja essen. Ich bin wirklich schrecklich hungrig."
Bibi hatte schon den Tisch gedeckt und verteilte das Essen auf den Tellern. Wie erwartet, waren die Kartoffelteile äußerst mickrig, doch keiner von uns Beiden hätte es gewagt, selber noch ein paar nachzuschälen. Zumindest vom Huhn würde nichts mehr übrig bleiben, denn irgendwas mußten wir ja essen.
"Das sieht aber lecker aus," sagte ich und setzte mich auf den Stuhl.
Es roch wirklich appetitlich und mir lief das Wasser im Mund zuammen. Bibi war eine hervorragende Köchin und freute sich jedesmal, wenn sie nicht allein essen mußte. Das gemeinsame Essen am Sonntag war fast schon eine Tradition bei uns und vermittelte Danny das Gefühl eine Familie zu haben. Und wir waren auch eine, dachte ich, während ich genüßlich ein saftiges Stück Fleisch in den Mund schob. Zwar nur zusammengewürfelt, aber eine Familie.
Bibi stand mir näher als irgendein anderer Mensch und ersetzte Danny die Großmutter mit einer Selbstverständlichkeit, die mir manchmal die Tränen in die Augen trieb.
Nach dem Essen durfte Danny eine halbe Stunde vor den Fernseher, um sich einen Zeichentrickfilm anzusehen. Jubelnd verschwand er im Wohnzimmer und ich saß Bibi allein gegenüber.
Innerlich seufzte ich. Jetzt würde ich nicht mehr drum herum kommen, ihr alles zu erzählen.
Sie hob schon erwartungsvoll die Augenbrauen.
"Und, wie heißt der Kerl?" mutmaßte sie und traf damit voll ins Schwarze.
"Woher weißt du, dass es sich um einen Mann handelt.?"fragte ich verblüfft.
Bibi schüttelte den Kopf.
"Aber Bella, eine alte Frau wie ich, merkt sowas sofort. Seit zwei Jahren kommst du jeden Sonntag pünktlich nach Hause. Deine Laune war immerwährend gleich und du wirktest ausgeglichen. Heute jedoch verspätest du dich. Du bist wütend gewesen und  äußerst verwirrt. Deine Wangen waren gerötet und du hast wieder richtig lebendig gewirkt."
Verblüfft über ihre Beobachtungen sah ich sie an. War es denn so offensichtlich, dass dieser Cullen nach Jahren der Erste war, der die Frau in mir ansprach. Auch wenn es nicht im positiven Sinne geschah, versicherte ich mir gleich darauf.
"Du hast Recht," sagte ich leise und sah sie unglücklich an.
"Aber ich wünschte, er wäre mir nie begegnet. Er ist kein anständiger Kerl, Bibi. Er hatte eine andere Frau dabei und trotzdem offen mit mir geflirtet. Dann besaß er auch noch die Unverschämtheit, mir ins Gesicht zu sagen, dass er nur mit mir ins Bett will."
"Warum machst du es nicht einfach?" fragte sie allen Ernstes.
"Bibi!" rief ich entsetzt.
"Was denn," antwortete sie ungerührt," ein bißchen körperliche Liebe würde dir nicht schaden, meine Liebe. Du bist eine junge Frau und unterdrückst deine Bedürfnisse. Das ist weder normal noch gesund. Wenn er dir gefällt, dann hab doch deinen Spaß daran."
Fassungslos blickte ich auf die Tischkante, während mein Gesicht eine ungesunde Röte annahm.
Bei ihren Worten hatte ich mir unwillkürlich vorgestellt, wie sich Cullens nackter Körper an meinen schmiegte und mir wurde furchtbar warm.
Heftig den Kopf schüttelnd, wehrte ich diese Fantasie ab.
"Ich hasse ihn, Bibi. Er ist eingebildet, arrogant und völlig von sich selbst überzeut. Er hat nicht mal in Erwägung gezogen, dass ich nein sagen könnte. Niemals werde ich ihm nachgeben."
Bibi sah mich nachdenklich an.
"Dieser Kerl geht dir aber ganz schön unter die Haut, wenn er so eine heftige Reaktion bei dir auslöst."
Abwehrend erwiderte ich ihren Blick.
"Du irrst dich! Da ist rein gar nichts. Er geht mir nur tierisch auf die Nerven, das ist alles."
"Wenn du meinst," sagte sie und lächelte geheimnisvoll," wir lassen das Thema jetzt am Besten. Laß uns in den Park gehen. Danny freut sich schon die ganze Woche darauf."
Sie stand auf und ich half ihr den Tisch abzuräumen.
Eine Stunde später tobte ich mit Danny über den Spielplatz. Es war eine der wenigen Gelegenheiten, wo wir Zeit füreinander hatten und der Sonntag war mir heilig.
Lächelnd beobachtete ich meinen Sohn, der sich einer kleinen Gruppe von Kindern angeschlossen hatte. Ich setzte mich zu Bibi auf die Parkbank und schloß genüßlich die Augen, um die Sonne auf dem Gesicht zu spüren. Da es schon Herbst war, mußte man jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um die letzten warmen Strahlen zu erhaschen.
"So läßt es sich leben," stieß ich hervor und reckte die Arme empor.
Die Glieder streckend sah ich in Bibis Richtung, die mich nachsichtig betrachtete, nur um im selben Moment zu erstarren.
Edward Cullen lief in Begleitung einer aufgedonnerten Brünetten durch den Park.
"Oh mein Gott," wisperte ich.
"Was ist denn, Bella?"
"Edward Cullen," sagte ich tonlos," er ist hier im Park."
Bibi zog die Augenbraue hoch und sah mich skeptisch an.
"Bist du sicher? Nach deinen Erzählungen scheint er mir nicht der Typ zu sein, der sich Sonntagnachmittag im Park vergnügt. Wo ist er denn?"
Ich deutete mit einer kaum merklichen Kopfbewegung in seine Richtung und Bibi stieß einen Pfiff aus, als sie ihn erblickte.
"Donnerwetter, das ist mal ein Prachtexemplar von einem Kerl. Aber er scheint nicht allein zu sein. Ist das die Frau, die er gestern dabei hatte?"
Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse und verneinte.
"Das ist schon wieder eine neue Eroberung. Ich hab dir doch gesagt, er ist ein Schwein in Bezug auf Frauen."
Verklärt blickte sie ihn an.
"Aber ein sehr attraktives Schwein, findest du nicht auch?" kicherte sie.
"Bibi, du sollst mir helfen und nicht diesem Wüstling. Er hat überhaupt kein Benehmen und ich wette, es ist kein Zufall dass er hier ist," schrie ich erbost.
Ich erhob die Stimme wohl zu laut, denn er riß seinen Kopf in meine Richtung und entdeckte mich.
Ein Grinsen der Vorfreude zuckte um seine Mundwinkel, als er mich erkannte.
Er beugte sich zu der Frau und küßte sie leidenschaftlich, flüsterte ihr dann etwas ins Ohr, das sie kichern ließ und gab ihr einen Klaps auf den Po. Sie lief in Richtung der Eisbude und wäre auf dem harten Beton beinahe hingefallen, da ihre Stilettoabsätze so hoch waren, dass ein normaler Mensch unmöglich darin laufen konnte.
Cullen richtete seine Aufmerksamkeit nun voll auf mich und lief langsam in unsere Richtung.
Gott, er sah einfach atemberaubend gut aus und ich bedauerte mich jetzt schon, weil ich nicht wußte, wie ich die Kraft aufbringen sollte ihm zu widerstehen.
" Er führt sich auf wie ein Gockel," bemerkte Bibi belustigt.
Diese Feststellung erzeugte bei mir einen solchen Lachkrampf, dass Cullen mich irritiert musterte, als er vor mir stand.
"Darf ich fragen, was dich so erheitert?" fragte er etwas ungehalten.
Er wußte genau, dass dieses Lachen ihm galt und es paßte ihm gar nicht.
"Nein, dürfen Sie nicht," versetzte ich prompt und siezte ihn weiter hartnäckig.
"Sie sind also der Kerl, der meiner Bella an die Wäsche will!" sagte Bibi knallhart und ich erstickte beinahe an dem Lachen, das mir im Hals stecken blieb.
Sie klopfte mir beruhigend auf die Schulter. Er musterte mich anzüglich.
"Du hast ihr von mir erzählt. Ich denke, ich bin dir gleichgültig?" sagte er und sah sehr arrogant aus in diesem Moment.
"Du täuscht dich, sie hat mich darauf angesprochen, warum ich mich verspätet habe und ich hab ihr erzählt, dass so ein Irrer mich belästigt hat. Das ist alles," versetzte ich zuckersüß.
"So, so von der Hormonschleuder zum Irren. Da bin ich ja regelrecht aufgestiegen," sagte er belustigt und wandte sich dann an Bibi.
"Verzeihen Sie mein unmögliches Benehmen, aber Bella hat die Angewohnheit mich abzulenken. Mit wem habe ich das Vergnügen?" hauchte er und gab ihr einen formvollendeten Handkuss.
Bibi war sichtlich beeindruckt und kicherte wie ein junges Mädchen.
"Barbara Vogelman," stellte sie sich vor und wurde tatsächlich rot.
Ich konnte es nicht fassen! Bibi, der Fels in der Brandung, ließ sich tatsächlich von seinem widerlich, aufdringlichen Charme einwickeln.
"Ich kann ja gehen, wenn ihr euch so gut versteht," sagte ich ein bißchen eingeschnappt.
"Bist du eifersüchtig?"
"Nur in Ihren Träumen, Cullen," erwiderte ich aggressiv.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich seine Begleitung, die unbeholfen zwei Eisbecher in den Händen balancierte.
"Ich glaube Ihre Freundin braucht Hilfe," meinte ich nur und deutete mit dem Kopf auf die Brünette.
"Edward," schrie sie ihm mit hoher Lispelstimme entgegen und er verzog genervt das Gesicht.
Die Arme vor der Brust verschränkt, schlug ich die Beine übereinander und lehnte mich zurück, um das Szenario genau zu beobachten.
Sie verlor den Kampf mit den Eisbechern und ließ beide aus den Händen gleiten. Etwas dümmlich stand sie da und sah auf die Sauerei, die sich zu ihren Füßen ausbreitete.
"Ich hol uns ein neues Eis, Edward," rief sie ihm entgegen und Cullen entglitten für einen Moment die Gesichtszüge.
Jetzt brach mein unterdrücktes Gelächter endgültig hervor.
"Wissen Sie was, Cullen. Wenn das die Sorte Frau ist, mit der Sie sich üblicherweise abgeben, kann ich nur zu gut verstehen, dass Sie scharf auf mich sind. Die kann ja nicht mal bis Drei zählen," prustete ich.
Ich erntete einen bösen Blick von ihm, was mich nur noch mehr erheiterte. Auch Bibi konnte sich das Lachen nicht verkneifen.
Mein Gelächter verstummte augenblicklich, als ich seinen festen Griff um mein Kinn fühlte. Er hielt es unbarmherzig gefangen und beugte sich nah an mein Ohr.
"Niemand lacht über mich, Merk dir das, Bella!"
Er drückte mir einen harten Kuss auf die Lippen und wandte sich zum Gehen.
"Wir sehen uns bald wieder, mein Engel. Hoffentlich bist du dann etwas zugänglicher," sagte er und grinste boshaft.
Bibi sah ihm hinterher, bevor sie mich ernst ansprach.
"Es tut mir leid, dass ich dir nicht geglaubt habe. Du solltest dich von ihm fernhalten. Er scheint auf den ersten Blick charmant, aber hinter dieser Fassade versteckt sich völlig gefühlloser Mann."
"Woher der Sinneswandel?"
"Ich habe den Ausdruck in seinen Augen gesehen. Ich bin eine alte Frau, Bella. In meinem Leben sind mir schon eine Menge skrupelloser Menschen begegnet und er gehört eindeutig dazu. Sei vorsichtig und reiz ihn nicht zu sehr. Versprichst du mir das?"
Ich nickte und sah Cullen hinterher. Sein Kuss brannte noch auf meinen Lippen, aber ich würde die Warnung ernst nehmen. Mit ihm war nicht zu spaßen.